und geistige Heldenmuth, der vor keiner Schranke zurückbebt, treibt ihre größten Geister an, das letzte Räthsel der Natur zu lösen. Die Andern bleiben bei der Empirie stehn, und suchen die gewonnenen Erfah¬ rungen nach dem Beispiel der Fremden auf das prak¬ tische Leben anzuwenden, weil sie entweder unüber¬ steigliche Schranken anerkennen und leere Hypothe¬ sen wie billig abweisen, oder erst des einmal gewon¬ nenen sich recht bemächtigen wollen, ehe sie weiter gehn, oder weil sie nicht Geist genug besitzen, um zu combiniren, daher nur gedächtnißmäßig summiren und beschreiben.
Das Bestreben, die Natur in ein System zu bringen, sie als ein Einiges, Ganzes und Lebendi¬ ges in allen Theilen zu begreifen, ist so alt, als die Naturwissenschaft überhaupt. Aus ihm sind die alten Kosmogonien hervorgegangen, und was man auch gegen die religiösen und poetischen Einmischungen in die Naturwissenschaft sagen mag, die pantheistische Ansicht war derselben günstig, und der spätere Poly¬ theismus und Monotheismus hat unstreitig der Wis¬ senschaft geschadet, die bereits zu so großer Vollkom¬ menheit gediehen war. Die lebendige Naturansicht der alten Völker war aber überhaupt nicht die Wir¬ kung, sondern die Ursache des Pantheismus. Sie ging aber unter, als die Thatkraft und die Selbstbetrach¬ tung des Geistes die Menschen allmählig von der Natur entfernte, und jene ein Götterheer, diese den einigen übersinnlichen Gott erkannte. Die Einheit
und geiſtige Heldenmuth, der vor keiner Schranke zuruͤckbebt, treibt ihre groͤßten Geiſter an, das letzte Raͤthſel der Natur zu loͤſen. Die Andern bleiben bei der Empirie ſtehn, und ſuchen die gewonnenen Erfah¬ rungen nach dem Beiſpiel der Fremden auf das prak¬ tiſche Leben anzuwenden, weil ſie entweder unuͤber¬ ſteigliche Schranken anerkennen und leere Hypothe¬ ſen wie billig abweiſen, oder erſt des einmal gewon¬ nenen ſich recht bemaͤchtigen wollen, ehe ſie weiter gehn, oder weil ſie nicht Geiſt genug beſitzen, um zu combiniren, daher nur gedaͤchtnißmaͤßig ſummiren und beſchreiben.
Das Beſtreben, die Natur in ein Syſtem zu bringen, ſie als ein Einiges, Ganzes und Lebendi¬ ges in allen Theilen zu begreifen, iſt ſo alt, als die Naturwiſſenſchaft uͤberhaupt. Aus ihm ſind die alten Kosmogonien hervorgegangen, und was man auch gegen die religioͤſen und poetiſchen Einmiſchungen in die Naturwiſſenſchaft ſagen mag, die pantheiſtiſche Anſicht war derſelben guͤnſtig, und der ſpaͤtere Poly¬ theismus und Monotheismus hat unſtreitig der Wiſ¬ ſenſchaft geſchadet, die bereits zu ſo großer Vollkom¬ menheit gediehen war. Die lebendige Naturanſicht der alten Voͤlker war aber uͤberhaupt nicht die Wir¬ kung, ſondern die Urſache des Pantheismus. Sie ging aber unter, als die Thatkraft und die Selbſtbetrach¬ tung des Geiſtes die Menſchen allmaͤhlig von der Natur entfernte, und jene ein Goͤtterheer, dieſe den einigen uͤberſinnlichen Gott erkannte. Die Einheit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0015"n="5"/>
und geiſtige Heldenmuth, der vor keiner Schranke<lb/>
zuruͤckbebt, treibt ihre groͤßten Geiſter an, das letzte<lb/>
Raͤthſel der Natur zu loͤſen. Die Andern bleiben bei<lb/>
der <hirendition="#g">Empirie</hi>ſtehn, und ſuchen die gewonnenen Erfah¬<lb/>
rungen nach dem Beiſpiel der Fremden auf das prak¬<lb/>
tiſche Leben anzuwenden, weil ſie entweder unuͤber¬<lb/>ſteigliche Schranken anerkennen und leere Hypothe¬<lb/>ſen wie billig abweiſen, oder erſt des einmal gewon¬<lb/>
nenen ſich recht bemaͤchtigen wollen, ehe ſie weiter<lb/>
gehn, oder weil ſie nicht Geiſt genug beſitzen, um zu<lb/>
combiniren, daher nur gedaͤchtnißmaͤßig ſummiren und<lb/>
beſchreiben.</p><lb/><p>Das Beſtreben, die Natur in ein Syſtem zu<lb/>
bringen, ſie als ein Einiges, Ganzes und Lebendi¬<lb/>
ges in allen Theilen zu begreifen, iſt ſo alt, als die<lb/>
Naturwiſſenſchaft uͤberhaupt. Aus ihm ſind die alten<lb/>
Kosmogonien hervorgegangen, und was man auch<lb/>
gegen die religioͤſen und poetiſchen Einmiſchungen in<lb/>
die Naturwiſſenſchaft ſagen mag, die pantheiſtiſche<lb/>
Anſicht war derſelben guͤnſtig, und der ſpaͤtere Poly¬<lb/>
theismus und Monotheismus hat unſtreitig der Wiſ¬<lb/>ſenſchaft geſchadet, die bereits zu ſo großer Vollkom¬<lb/>
menheit gediehen war. Die lebendige Naturanſicht<lb/>
der alten Voͤlker war aber uͤberhaupt nicht die Wir¬<lb/>
kung, ſondern die Urſache des Pantheismus. Sie ging<lb/>
aber unter, als die Thatkraft und die Selbſtbetrach¬<lb/>
tung des Geiſtes die Menſchen allmaͤhlig von der<lb/>
Natur entfernte, und jene ein Goͤtterheer, dieſe den<lb/>
einigen uͤberſinnlichen Gott erkannte. Die Einheit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[5/0015]
und geiſtige Heldenmuth, der vor keiner Schranke
zuruͤckbebt, treibt ihre groͤßten Geiſter an, das letzte
Raͤthſel der Natur zu loͤſen. Die Andern bleiben bei
der Empirie ſtehn, und ſuchen die gewonnenen Erfah¬
rungen nach dem Beiſpiel der Fremden auf das prak¬
tiſche Leben anzuwenden, weil ſie entweder unuͤber¬
ſteigliche Schranken anerkennen und leere Hypothe¬
ſen wie billig abweiſen, oder erſt des einmal gewon¬
nenen ſich recht bemaͤchtigen wollen, ehe ſie weiter
gehn, oder weil ſie nicht Geiſt genug beſitzen, um zu
combiniren, daher nur gedaͤchtnißmaͤßig ſummiren und
beſchreiben.
Das Beſtreben, die Natur in ein Syſtem zu
bringen, ſie als ein Einiges, Ganzes und Lebendi¬
ges in allen Theilen zu begreifen, iſt ſo alt, als die
Naturwiſſenſchaft uͤberhaupt. Aus ihm ſind die alten
Kosmogonien hervorgegangen, und was man auch
gegen die religioͤſen und poetiſchen Einmiſchungen in
die Naturwiſſenſchaft ſagen mag, die pantheiſtiſche
Anſicht war derſelben guͤnſtig, und der ſpaͤtere Poly¬
theismus und Monotheismus hat unſtreitig der Wiſ¬
ſenſchaft geſchadet, die bereits zu ſo großer Vollkom¬
menheit gediehen war. Die lebendige Naturanſicht
der alten Voͤlker war aber uͤberhaupt nicht die Wir¬
kung, ſondern die Urſache des Pantheismus. Sie ging
aber unter, als die Thatkraft und die Selbſtbetrach¬
tung des Geiſtes die Menſchen allmaͤhlig von der
Natur entfernte, und jene ein Goͤtterheer, dieſe den
einigen uͤberſinnlichen Gott erkannte. Die Einheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/15>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.