Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

sich ewig neu verjüngt. Ohne die Gluth edler Lei¬
denschaften kann nichts Großes gedeihen im Leben
und im Gedichte. Jeder Genius trägt dieses himm¬
lische Feuer, und alle seine Schöpfungen sind davon
durchdrungen. Schiller's Poesie ist ein starker und
feuriger Wein; alle seine Worte sind Flammen der
edelsten Empfindung. Die Ideale, die er uns ge¬
schaffen, sind echte Kinder seines glühenden Herzens,
und getheilte Strahlen seines eigenen Feuers. Vor
allen Dichtern behauptet Schiller aber den Vorzug
der reinsten und zugleich der stärksten Leidenschaft.
Keiner von so reinem Herzen trug dieses Feuer, kei¬
ner von solchem Feuer besaß diese Reinheit. So
sehn wir den reinsten unter den irdischen Stoffen,
den Diamant, wenn er entzündet wird, auch in ei¬
nem Glanz und einer innern Gluthkraft brennen, ge¬
gen die jedes andre Feuer matt und trüb erscheint.

Fragen wir uns, ob es eine keuschere, heiligere
Liebe geben mag, als sie Schiller empfunden, und
seinen Liebenden in die Seele gehaucht? Und wo
finden wir sie wieder so feurig und gewaltig, un¬
überwindlich gegen eine Welt voll Feinde, die höchste
Seelenstärke weckend, die ungeheuersten Opfer freu¬
dig duldend? Von ihrem sanftesten Reiz, vom ersten
Begegnen des Auges, vom ersten leisen Herzschlag
bis zum erschütternden Sturm aller Gefühle, bis zur
überraschenden Heldenthat des jungfräulichen Mu¬
thes, bis zum erhabenen Opfertod der Liebenden ent¬
faltet die Liebe hier den unermeßlichen Reichthum

ſich ewig neu verjuͤngt. Ohne die Gluth edler Lei¬
denſchaften kann nichts Großes gedeihen im Leben
und im Gedichte. Jeder Genius traͤgt dieſes himm¬
liſche Feuer, und alle ſeine Schoͤpfungen ſind davon
durchdrungen. Schiller's Poeſie iſt ein ſtarker und
feuriger Wein; alle ſeine Worte ſind Flammen der
edelſten Empfindung. Die Ideale, die er uns ge¬
ſchaffen, ſind echte Kinder ſeines gluͤhenden Herzens,
und getheilte Strahlen ſeines eigenen Feuers. Vor
allen Dichtern behauptet Schiller aber den Vorzug
der reinſten und zugleich der ſtaͤrkſten Leidenſchaft.
Keiner von ſo reinem Herzen trug dieſes Feuer, kei¬
ner von ſolchem Feuer beſaß dieſe Reinheit. So
ſehn wir den reinſten unter den irdiſchen Stoffen,
den Diamant, wenn er entzuͤndet wird, auch in ei¬
nem Glanz und einer innern Gluthkraft brennen, ge¬
gen die jedes andre Feuer matt und truͤb erſcheint.

Fragen wir uns, ob es eine keuſchere, heiligere
Liebe geben mag, als ſie Schiller empfunden, und
ſeinen Liebenden in die Seele gehaucht? Und wo
finden wir ſie wieder ſo feurig und gewaltig, un¬
uͤberwindlich gegen eine Welt voll Feinde, die hoͤchſte
Seelenſtaͤrke weckend, die ungeheuerſten Opfer freu¬
dig duldend? Von ihrem ſanfteſten Reiz, vom erſten
Begegnen des Auges, vom erſten leiſen Herzſchlag
bis zum erſchuͤtternden Sturm aller Gefuͤhle, bis zur
uͤberraſchenden Heldenthat des jungfraͤulichen Mu¬
thes, bis zum erhabenen Opfertod der Liebenden ent¬
faltet die Liebe hier den unermeßlichen Reichthum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="127"/>
&#x017F;ich ewig neu verju&#x0364;ngt. Ohne die Gluth edler Lei¬<lb/>
den&#x017F;chaften kann nichts Großes gedeihen im Leben<lb/>
und im Gedichte. Jeder Genius tra&#x0364;gt die&#x017F;es himm¬<lb/>
li&#x017F;che Feuer, und alle &#x017F;eine Scho&#x0364;pfungen &#x017F;ind davon<lb/>
durchdrungen. Schiller's Poe&#x017F;ie i&#x017F;t ein &#x017F;tarker und<lb/>
feuriger Wein; alle &#x017F;eine Worte &#x017F;ind Flammen der<lb/>
edel&#x017F;ten Empfindung. Die Ideale, die er uns ge¬<lb/>
&#x017F;chaffen, &#x017F;ind echte Kinder &#x017F;eines glu&#x0364;henden Herzens,<lb/>
und getheilte Strahlen &#x017F;eines eigenen Feuers. Vor<lb/>
allen Dichtern behauptet Schiller aber den Vorzug<lb/>
der rein&#x017F;ten und zugleich der &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Leiden&#x017F;chaft.<lb/>
Keiner von &#x017F;o reinem Herzen trug die&#x017F;es Feuer, kei¬<lb/>
ner von &#x017F;olchem Feuer be&#x017F;aß die&#x017F;e Reinheit. So<lb/>
&#x017F;ehn wir den rein&#x017F;ten unter den irdi&#x017F;chen Stoffen,<lb/>
den Diamant, wenn er entzu&#x0364;ndet wird, auch in ei¬<lb/>
nem Glanz und einer innern Gluthkraft brennen, ge¬<lb/>
gen die jedes andre Feuer matt und tru&#x0364;b er&#x017F;cheint.</p><lb/>
        <p>Fragen wir uns, ob es eine keu&#x017F;chere, heiligere<lb/><hi rendition="#g">Liebe</hi> geben mag, als &#x017F;ie Schiller empfunden, und<lb/>
&#x017F;einen Liebenden in die Seele gehaucht? Und wo<lb/>
finden wir &#x017F;ie wieder &#x017F;o feurig und gewaltig, un¬<lb/>
u&#x0364;berwindlich gegen eine Welt voll Feinde, die ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
Seelen&#x017F;ta&#x0364;rke weckend, die ungeheuer&#x017F;ten Opfer freu¬<lb/>
dig duldend? Von ihrem &#x017F;anfte&#x017F;ten Reiz, vom er&#x017F;ten<lb/>
Begegnen des Auges, vom er&#x017F;ten lei&#x017F;en Herz&#x017F;chlag<lb/>
bis zum er&#x017F;chu&#x0364;tternden Sturm aller Gefu&#x0364;hle, bis zur<lb/>
u&#x0364;berra&#x017F;chenden Heldenthat des jungfra&#x0364;ulichen Mu¬<lb/>
thes, bis zum erhabenen Opfertod der Liebenden ent¬<lb/>
faltet die Liebe hier den unermeßlichen Reichthum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0137] ſich ewig neu verjuͤngt. Ohne die Gluth edler Lei¬ denſchaften kann nichts Großes gedeihen im Leben und im Gedichte. Jeder Genius traͤgt dieſes himm¬ liſche Feuer, und alle ſeine Schoͤpfungen ſind davon durchdrungen. Schiller's Poeſie iſt ein ſtarker und feuriger Wein; alle ſeine Worte ſind Flammen der edelſten Empfindung. Die Ideale, die er uns ge¬ ſchaffen, ſind echte Kinder ſeines gluͤhenden Herzens, und getheilte Strahlen ſeines eigenen Feuers. Vor allen Dichtern behauptet Schiller aber den Vorzug der reinſten und zugleich der ſtaͤrkſten Leidenſchaft. Keiner von ſo reinem Herzen trug dieſes Feuer, kei¬ ner von ſolchem Feuer beſaß dieſe Reinheit. So ſehn wir den reinſten unter den irdiſchen Stoffen, den Diamant, wenn er entzuͤndet wird, auch in ei¬ nem Glanz und einer innern Gluthkraft brennen, ge¬ gen die jedes andre Feuer matt und truͤb erſcheint. Fragen wir uns, ob es eine keuſchere, heiligere Liebe geben mag, als ſie Schiller empfunden, und ſeinen Liebenden in die Seele gehaucht? Und wo finden wir ſie wieder ſo feurig und gewaltig, un¬ uͤberwindlich gegen eine Welt voll Feinde, die hoͤchſte Seelenſtaͤrke weckend, die ungeheuerſten Opfer freu¬ dig duldend? Von ihrem ſanfteſten Reiz, vom erſten Begegnen des Auges, vom erſten leiſen Herzſchlag bis zum erſchuͤtternden Sturm aller Gefuͤhle, bis zur uͤberraſchenden Heldenthat des jungfraͤulichen Mu¬ thes, bis zum erhabenen Opfertod der Liebenden ent¬ faltet die Liebe hier den unermeßlichen Reichthum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/137
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/137>, abgerufen am 06.05.2024.