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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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mord und Blutschande sind gleichsam das tägliche
Brod dieser Helden und die Dichter sind nur verle¬
gen, wie sie es gräßlich genug machen sollen, damit
das Schicksalspiel noch einigen Reiz der Neuheit ge¬
winne. Schade nur, daß das Gebiet des tragischen
Schicksals da beginnt, wo das der Criminaljustiz
aufhört. Die Justiz greife dem Dichter, der Dichter
der Justiz nicht ins Handwerk. Wenn jener gemeine
Verbrecher abthut, so ist es eben so schlimm, als
wenn diese nach der Ästhetik statt nach dem corpus
juris
richten wollte. Freilich, wem das Schaffot ein
Theater ist, der macht auch gern aus dem Theater
ein Schaffot.

So unwürdig, ja schändlich diese Entweihung
der tragischen Muse ist, so haben die Urheber der¬
selben doch eines großen Beifalls sich erfreut, theils,
weil das Publikum immer noch roh und blutdürstig
genug ist, um sich an jenen Schlächtereien zu wei¬
den, theils, weil die beliebtesten Stücke darunter
wirklich mit schönen Versen, Sentenzen, Phrasen
und Sentiments ausgestattet sind. Aber der Mi߬
brauch der poetischen Form kann nie entschuldigt wer¬
den, und gerade je schöner die Formen sind, desto
abscheulicher ist es, einen so unwürdigen Inhalt da¬
mit aufzuputzen. Wie sehr diese Dichter sich bemü¬
hen, das Gemeinste im erhabensten Pathos vorzu¬
tragen, die nichtswürdigsten Verbrecher oder bloße
Schicksalspuppen in Bravour-Monologen zu echten
Helden zu stempeln, so schlägt doch das Gemeine

mord und Blutſchande ſind gleichſam das taͤgliche
Brod dieſer Helden und die Dichter ſind nur verle¬
gen, wie ſie es graͤßlich genug machen ſollen, damit
das Schickſalſpiel noch einigen Reiz der Neuheit ge¬
winne. Schade nur, daß das Gebiet des tragiſchen
Schickſals da beginnt, wo das der Criminaljuſtiz
aufhoͤrt. Die Juſtiz greife dem Dichter, der Dichter
der Juſtiz nicht ins Handwerk. Wenn jener gemeine
Verbrecher abthut, ſo iſt es eben ſo ſchlimm, als
wenn dieſe nach der Äſthetik ſtatt nach dem corpus
juris
richten wollte. Freilich, wem das Schaffot ein
Theater iſt, der macht auch gern aus dem Theater
ein Schaffot.

So unwuͤrdig, ja ſchaͤndlich dieſe Entweihung
der tragiſchen Muſe iſt, ſo haben die Urheber der¬
ſelben doch eines großen Beifalls ſich erfreut, theils,
weil das Publikum immer noch roh und blutduͤrſtig
genug iſt, um ſich an jenen Schlaͤchtereien zu wei¬
den, theils, weil die beliebteſten Stuͤcke darunter
wirklich mit ſchoͤnen Verſen, Sentenzen, Phraſen
und Sentiments ausgeſtattet ſind. Aber der Mi߬
brauch der poetiſchen Form kann nie entſchuldigt wer¬
den, und gerade je ſchoͤner die Formen ſind, deſto
abſcheulicher iſt es, einen ſo unwuͤrdigen Inhalt da¬
mit aufzuputzen. Wie ſehr dieſe Dichter ſich bemuͤ¬
hen, das Gemeinſte im erhabenſten Pathos vorzu¬
tragen, die nichtswuͤrdigſten Verbrecher oder bloße
Schickſalspuppen in Bravour-Monologen zu echten
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[111/0121] mord und Blutſchande ſind gleichſam das taͤgliche Brod dieſer Helden und die Dichter ſind nur verle¬ gen, wie ſie es graͤßlich genug machen ſollen, damit das Schickſalſpiel noch einigen Reiz der Neuheit ge¬ winne. Schade nur, daß das Gebiet des tragiſchen Schickſals da beginnt, wo das der Criminaljuſtiz aufhoͤrt. Die Juſtiz greife dem Dichter, der Dichter der Juſtiz nicht ins Handwerk. Wenn jener gemeine Verbrecher abthut, ſo iſt es eben ſo ſchlimm, als wenn dieſe nach der Äſthetik ſtatt nach dem corpus juris richten wollte. Freilich, wem das Schaffot ein Theater iſt, der macht auch gern aus dem Theater ein Schaffot. So unwuͤrdig, ja ſchaͤndlich dieſe Entweihung der tragiſchen Muſe iſt, ſo haben die Urheber der¬ ſelben doch eines großen Beifalls ſich erfreut, theils, weil das Publikum immer noch roh und blutduͤrſtig genug iſt, um ſich an jenen Schlaͤchtereien zu wei¬ den, theils, weil die beliebteſten Stuͤcke darunter wirklich mit ſchoͤnen Verſen, Sentenzen, Phraſen und Sentiments ausgeſtattet ſind. Aber der Mi߬ brauch der poetiſchen Form kann nie entſchuldigt wer¬ den, und gerade je ſchoͤner die Formen ſind, deſto abſcheulicher iſt es, einen ſo unwuͤrdigen Inhalt da¬ mit aufzuputzen. Wie ſehr dieſe Dichter ſich bemuͤ¬ hen, das Gemeinſte im erhabenſten Pathos vorzu¬ tragen, die nichtswuͤrdigſten Verbrecher oder bloße Schickſalspuppen in Bravour-Monologen zu echten Helden zu ſtempeln, ſo ſchlaͤgt doch das Gemeine

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/121>, abgerufen am 25.11.2024.