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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Spätere Dichter eigneten sich in noch höherem
Grade die Vorzüge der Griechen an. Sie schritten
vom Klaren zum Starken, vom Leichten zum Schö¬
nen fort. Herder, Göthe, Schiller, die Brü¬
der Schlegel tranken aus dem reinen Quell des
griechischen Lebens. So weit griechischer Geist mit
deutschem sich vermählen kann, ist er in den Werken
jener Männer enthalten. Dürfen wir eine Verglei¬
chung wagen, so ist Herder unser Plato, Göthe un¬
ser Homer, Schiller unser Sophokles. Im Allgemei¬
nen hat indeß ionische Weichheit und attische Fein¬
heit unsern Dichtern und Prosaisten am meisten zu¬
gesagt, und Göthe erscheint deßfalls unter allen
neuern den Griechen am verwandtesten. Oder fühlt
ihr nicht die sanfte ionische Luft, wenn ihr seinen
Wilhelm Meister, seinen Tasso, seine Iphigenie lest?
Die spiegelhelle Klarheit seiner Sprache, die Unmit¬
telbarkeit seiner Naturanschauung ist seit Homer noch
von keinem wieder erreicht worden. Dieser Zauber
der Form, den wir den Griechen abgelernt, ist aber
so wenig blos in die engen Schranken einer Zeit,
eines Volks und einer Sprache gebannt, daß er sich
neuern romantischen Dichtungen mitgetheilt hat, de¬
ren Tendenz sehr verschieden von der antiken Ten¬
denz ist. Dagegen sind gerade die künstlichen Nach¬
ahmungen des Antiken, z. B. der Trauerspiele von
Sophokles und Euripides, wie sie die Franzosen und
nach ihnen Göthe, Schiller, Schlegel und andre ver¬
sucht haben, nicht das Gelungenste. Es verdient

Spaͤtere Dichter eigneten ſich in noch hoͤherem
Grade die Vorzuͤge der Griechen an. Sie ſchritten
vom Klaren zum Starken, vom Leichten zum Schoͤ¬
nen fort. Herder, Goͤthe, Schiller, die Bruͤ¬
der Schlegel tranken aus dem reinen Quell des
griechiſchen Lebens. So weit griechiſcher Geiſt mit
deutſchem ſich vermaͤhlen kann, iſt er in den Werken
jener Maͤnner enthalten. Duͤrfen wir eine Verglei¬
chung wagen, ſo iſt Herder unſer Plato, Goͤthe un¬
ſer Homer, Schiller unſer Sophokles. Im Allgemei¬
nen hat indeß ioniſche Weichheit und attiſche Fein¬
heit unſern Dichtern und Proſaiſten am meiſten zu¬
geſagt, und Goͤthe erſcheint deßfalls unter allen
neuern den Griechen am verwandteſten. Oder fuͤhlt
ihr nicht die ſanfte ioniſche Luft, wenn ihr ſeinen
Wilhelm Meiſter, ſeinen Taſſo, ſeine Iphigenie lest?
Die ſpiegelhelle Klarheit ſeiner Sprache, die Unmit¬
telbarkeit ſeiner Naturanſchauung iſt ſeit Homer noch
von keinem wieder erreicht worden. Dieſer Zauber
der Form, den wir den Griechen abgelernt, iſt aber
ſo wenig blos in die engen Schranken einer Zeit,
eines Volks und einer Sprache gebannt, daß er ſich
neuern romantiſchen Dichtungen mitgetheilt hat, de¬
ren Tendenz ſehr verſchieden von der antiken Ten¬
denz iſt. Dagegen ſind gerade die kuͤnſtlichen Nach¬
ahmungen des Antiken, z. B. der Trauerſpiele von
Sophokles und Euripides, wie ſie die Franzoſen und
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ſucht haben, nicht das Gelungenſte. Es verdient

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[92/0102] Spaͤtere Dichter eigneten ſich in noch hoͤherem Grade die Vorzuͤge der Griechen an. Sie ſchritten vom Klaren zum Starken, vom Leichten zum Schoͤ¬ nen fort. Herder, Goͤthe, Schiller, die Bruͤ¬ der Schlegel tranken aus dem reinen Quell des griechiſchen Lebens. So weit griechiſcher Geiſt mit deutſchem ſich vermaͤhlen kann, iſt er in den Werken jener Maͤnner enthalten. Duͤrfen wir eine Verglei¬ chung wagen, ſo iſt Herder unſer Plato, Goͤthe un¬ ſer Homer, Schiller unſer Sophokles. Im Allgemei¬ nen hat indeß ioniſche Weichheit und attiſche Fein¬ heit unſern Dichtern und Proſaiſten am meiſten zu¬ geſagt, und Goͤthe erſcheint deßfalls unter allen neuern den Griechen am verwandteſten. Oder fuͤhlt ihr nicht die ſanfte ioniſche Luft, wenn ihr ſeinen Wilhelm Meiſter, ſeinen Taſſo, ſeine Iphigenie lest? Die ſpiegelhelle Klarheit ſeiner Sprache, die Unmit¬ telbarkeit ſeiner Naturanſchauung iſt ſeit Homer noch von keinem wieder erreicht worden. Dieſer Zauber der Form, den wir den Griechen abgelernt, iſt aber ſo wenig blos in die engen Schranken einer Zeit, eines Volks und einer Sprache gebannt, daß er ſich neuern romantiſchen Dichtungen mitgetheilt hat, de¬ ren Tendenz ſehr verſchieden von der antiken Ten¬ denz iſt. Dagegen ſind gerade die kuͤnſtlichen Nach¬ ahmungen des Antiken, z. B. der Trauerſpiele von Sophokles und Euripides, wie ſie die Franzoſen und nach ihnen Goͤthe, Schiller, Schlegel und andre ver¬ ſucht haben, nicht das Gelungenſte. Es verdient

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/102>, abgerufen am 27.11.2024.