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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Vereinigung. Von jener frühern Einheit aber, von
jener ersten Gestaltung einer mystischen Religion im
Mittelalter müssen wir auf doppelte Weise anerken¬
nen, daß sie die Idee weit vollkommner offenbart
hat, als es eine sinnliche, gemüthliche oder verständige
Religion vermag, daß sie aber zugleich einer noch
niedern Stufe der menschlichen Entwicklung angehört.
Jenes erhebt sie über unsre neuern vereinzelten Be¬
strebungen, dieses setzt das meiste, was wir als ver¬
einzeltes davon hervorheben mögen, unter dieselben
herab. Die neuere Entwicklung hat vieles ausgebil¬
det, was in jener Zeit noch roh erscheint, aber nur
in einzelnen Richtungen, die Idee hat sie noch nicht
wiedergeboren und darauf beruht die geheime Scheu
oder Achtung vor dem Mittelalter, die den Gegner
wie den Vertheidiger unwillkürlich ergreifen, mag er
sich auch, wenigstens im Verstande, noch so erhaben
über jene Zeit fühlen. Wenn jetzt der tiefe Sinn
für Natur und Kunst an eine seelenlose Mechanik
und Technik gewiesen ist, ergreift uns wehmüthig die
Erinnerung an eine Zeit, da der Glaube noch das
äußere Zeichen beseelte, da das Göttliche noch auf
mystische Weise mit dem Wunder der Schönheit in
der Natur und Kunst verbunden war. Wir sehen
die Werke jener heiligen Kunst mit staunender Be¬
wunderung und fühlen, daß wir zu schwach sind,
ähnliches hervorzubringen, weil die Idee uns fehlt.
Wir haben das tiefe Bedürfniß, das Heilige auch in
Natur und Kunst zu suchen, aber der Verstand spie¬

Vereinigung. Von jener fruͤhern Einheit aber, von
jener erſten Geſtaltung einer myſtiſchen Religion im
Mittelalter muͤſſen wir auf doppelte Weiſe anerken¬
nen, daß ſie die Idee weit vollkommner offenbart
hat, als es eine ſinnliche, gemuͤthliche oder verſtaͤndige
Religion vermag, daß ſie aber zugleich einer noch
niedern Stufe der menſchlichen Entwicklung angehoͤrt.
Jenes erhebt ſie uͤber unſre neuern vereinzelten Be¬
ſtrebungen, dieſes ſetzt das meiſte, was wir als ver¬
einzeltes davon hervorheben moͤgen, unter dieſelben
herab. Die neuere Entwicklung hat vieles ausgebil¬
det, was in jener Zeit noch roh erſcheint, aber nur
in einzelnen Richtungen, die Idee hat ſie noch nicht
wiedergeboren und darauf beruht die geheime Scheu
oder Achtung vor dem Mittelalter, die den Gegner
wie den Vertheidiger unwillkuͤrlich ergreifen, mag er
ſich auch, wenigſtens im Verſtande, noch ſo erhaben
uͤber jene Zeit fuͤhlen. Wenn jetzt der tiefe Sinn
fuͤr Natur und Kunſt an eine ſeelenloſe Mechanik
und Technik gewieſen iſt, ergreift uns wehmuͤthig die
Erinnerung an eine Zeit, da der Glaube noch das
aͤußere Zeichen beſeelte, da das Goͤttliche noch auf
myſtiſche Weiſe mit dem Wunder der Schoͤnheit in
der Natur und Kunſt verbunden war. Wir ſehen
die Werke jener heiligen Kunſt mit ſtaunender Be¬
wunderung und fuͤhlen, daß wir zu ſchwach ſind,
aͤhnliches hervorzubringen, weil die Idee uns fehlt.
Wir haben das tiefe Beduͤrfniß, das Heilige auch in
Natur und Kunſt zu ſuchen, aber der Verſtand ſpie¬

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[86/0096] Vereinigung. Von jener fruͤhern Einheit aber, von jener erſten Geſtaltung einer myſtiſchen Religion im Mittelalter muͤſſen wir auf doppelte Weiſe anerken¬ nen, daß ſie die Idee weit vollkommner offenbart hat, als es eine ſinnliche, gemuͤthliche oder verſtaͤndige Religion vermag, daß ſie aber zugleich einer noch niedern Stufe der menſchlichen Entwicklung angehoͤrt. Jenes erhebt ſie uͤber unſre neuern vereinzelten Be¬ ſtrebungen, dieſes ſetzt das meiſte, was wir als ver¬ einzeltes davon hervorheben moͤgen, unter dieſelben herab. Die neuere Entwicklung hat vieles ausgebil¬ det, was in jener Zeit noch roh erſcheint, aber nur in einzelnen Richtungen, die Idee hat ſie noch nicht wiedergeboren und darauf beruht die geheime Scheu oder Achtung vor dem Mittelalter, die den Gegner wie den Vertheidiger unwillkuͤrlich ergreifen, mag er ſich auch, wenigſtens im Verſtande, noch ſo erhaben uͤber jene Zeit fuͤhlen. Wenn jetzt der tiefe Sinn fuͤr Natur und Kunſt an eine ſeelenloſe Mechanik und Technik gewieſen iſt, ergreift uns wehmuͤthig die Erinnerung an eine Zeit, da der Glaube noch das aͤußere Zeichen beſeelte, da das Goͤttliche noch auf myſtiſche Weiſe mit dem Wunder der Schoͤnheit in der Natur und Kunſt verbunden war. Wir ſehen die Werke jener heiligen Kunſt mit ſtaunender Be¬ wunderung und fuͤhlen, daß wir zu ſchwach ſind, aͤhnliches hervorzubringen, weil die Idee uns fehlt. Wir haben das tiefe Beduͤrfniß, das Heilige auch in Natur und Kunſt zu ſuchen, aber der Verſtand ſpie¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/96>, abgerufen am 22.11.2024.