Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.kommt, jedes Etwas als zu viel abweisend und je¬ Die Censur, selbst wenn sie mit der größten Ty¬ Die Wahrheit kommt nicht abhanden, wenn man kommt, jedes Etwas als zu viel abweiſend und je¬ Die Cenſur, ſelbſt wenn ſie mit der groͤßten Ty¬ Die Wahrheit kommt nicht abhanden, wenn man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0089" n="79"/> kommt, jedes Etwas als zu viel abweiſend und je¬<lb/> des Nichts als wenigſtens Etwas beſchoͤnigend. Leute,<lb/> die in einer etwas bewegten Zeit nicht den Mund<lb/> aufthun wuͤrden, plaudern ſich jetzt ſatt. Jetzt erho¬<lb/> len ſie ſich von ihrem langen Schweigen. Jetzt, den¬<lb/> ken ſie, kommen wir an die Reihe. Sie verhehlen<lb/> freilich auch nicht, wenn man ihnen mit Ernſt auf<lb/> den Leib ruͤckt, daß ſie ein wenig ſeicht ſchreiben,<lb/> aber ſie fluͤſtern uns pfiffig zu, das geſchehe mit Ab¬<lb/> ſicht, man muͤſſe leiſe auftreten, nur wenig zu ver¬<lb/> ſtehn geben, im Hinterhalt da ſtecke noch viel.</p><lb/> <p>Die Cenſur, ſelbſt wenn ſie mit der groͤßten Ty¬<lb/> rannei gepaart iſt, kann doch den tiefen Athemzug<lb/> des Lebens, die geiſtige Reſpiration nicht hemmen.<lb/> Wenn man einem Vogel auch den Schnabel feſt zu<lb/> bindet und die Fluͤgel bricht, ſo kann er noch durch<lb/> die offnen Knochen athmen und leben.</p><lb/> <p>Die Wahrheit kommt nicht abhanden, wenn man<lb/> auch nicht auf jeder Straße druͤber fallen kann. Sie<lb/> wurzelt deſto feſter im Gemuͤthe, je weniger man ſie<lb/> von ſich geben und ſich an ihr heiſer ſchreien kann.<lb/> Man legt gewoͤhnlich ein zu großes Gewicht auf das,<lb/> was die Cenſur zu ſchreiben verbietet. Eine einzelne<lb/> lokale Wahrheit, die man verſchweigen muß, wiegt<lb/> jene Summen von Wahrheiten nicht auf, die jedem<lb/> bekannt ſind. Eine Nation, der man den Preßzwang<lb/> auferlegt, iſt gewoͤhnlich gebildet genug, um denken<lb/> zu koͤnnen, was ſie nicht ſagen darf. Eine Mitthei¬<lb/> lung mehr oder weniger wuͤrde keinen großen Unter¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0089]
kommt, jedes Etwas als zu viel abweiſend und je¬
des Nichts als wenigſtens Etwas beſchoͤnigend. Leute,
die in einer etwas bewegten Zeit nicht den Mund
aufthun wuͤrden, plaudern ſich jetzt ſatt. Jetzt erho¬
len ſie ſich von ihrem langen Schweigen. Jetzt, den¬
ken ſie, kommen wir an die Reihe. Sie verhehlen
freilich auch nicht, wenn man ihnen mit Ernſt auf
den Leib ruͤckt, daß ſie ein wenig ſeicht ſchreiben,
aber ſie fluͤſtern uns pfiffig zu, das geſchehe mit Ab¬
ſicht, man muͤſſe leiſe auftreten, nur wenig zu ver¬
ſtehn geben, im Hinterhalt da ſtecke noch viel.
Die Cenſur, ſelbſt wenn ſie mit der groͤßten Ty¬
rannei gepaart iſt, kann doch den tiefen Athemzug
des Lebens, die geiſtige Reſpiration nicht hemmen.
Wenn man einem Vogel auch den Schnabel feſt zu
bindet und die Fluͤgel bricht, ſo kann er noch durch
die offnen Knochen athmen und leben.
Die Wahrheit kommt nicht abhanden, wenn man
auch nicht auf jeder Straße druͤber fallen kann. Sie
wurzelt deſto feſter im Gemuͤthe, je weniger man ſie
von ſich geben und ſich an ihr heiſer ſchreien kann.
Man legt gewoͤhnlich ein zu großes Gewicht auf das,
was die Cenſur zu ſchreiben verbietet. Eine einzelne
lokale Wahrheit, die man verſchweigen muß, wiegt
jene Summen von Wahrheiten nicht auf, die jedem
bekannt ſind. Eine Nation, der man den Preßzwang
auferlegt, iſt gewoͤhnlich gebildet genug, um denken
zu koͤnnen, was ſie nicht ſagen darf. Eine Mitthei¬
lung mehr oder weniger wuͤrde keinen großen Unter¬
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