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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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dern auch von subjectiven Bestimmungsgründen ab.
Dieselben Muster stehn immerwährend und zugleich
vor unsern Augen, und doch interessiren wir uns ab¬
wechselnd nur für die einen und sind für die andern
blind. Dies hängt von dem innern Entwicklungsgang
unsrer Natur und von dem äußern großen Gange
der Geschichte ab. Wir interessiren uns immer für
dasjenige Fremde, was gerade mit unsrer Bildungs¬
stufe und Stimmung am meisten harmonirt. Als un¬
ser Verstand aus den engen Glaubensbanden frei zu
werden begann, wurden die verständigen, aufgeklär¬
ten Alten unsre Muster. Als das gänzlich vernach¬
lässigte oder mißhandelte Gefühl gegen die Tyrannei
einer seichten Verständigkeit, eines flachen Liberalis¬
mus sich empörte, mußte das Mittelalter wieder zum
Muster dienen. Als der Deutsche zum Gefühl seiner
Plumpheit gelangte, gab er sich dem leichtfüßigen
Franzmann in die Lehre. Als er in seinem trägen
politischen Schlafe Träume bekam, drängten sich ihm
die Bilder Englands und Amerikas oder der alten
Republiken auf. Als er die Unbequemlichkeit und Un¬
natur seiner altfränkischen Gewohnheiten endlich fühlte,
mußte der Instinkt ihn zur griechischen Leichtigkeit,
ja zur Nacktheit zurückführen. Als er durch Schick¬
sal und Ungeschick in Armuth versunken war, mußte
die materielle Wohlfahrt der Britten ihm ein Muster
werden.

Gleich thörichten Kindern aber zerbrechen wir
das Spielzeug oder werfen das Schulbuch in den

dern auch von ſubjectiven Beſtimmungsgruͤnden ab.
Dieſelben Muſter ſtehn immerwaͤhrend und zugleich
vor unſern Augen, und doch intereſſiren wir uns ab¬
wechſelnd nur fuͤr die einen und ſind fuͤr die andern
blind. Dies haͤngt von dem innern Entwicklungsgang
unſrer Natur und von dem aͤußern großen Gange
der Geſchichte ab. Wir intereſſiren uns immer fuͤr
dasjenige Fremde, was gerade mit unſrer Bildungs¬
ſtufe und Stimmung am meiſten harmonirt. Als un¬
ſer Verſtand aus den engen Glaubensbanden frei zu
werden begann, wurden die verſtaͤndigen, aufgeklaͤr¬
ten Alten unſre Muſter. Als das gaͤnzlich vernach¬
laͤſſigte oder mißhandelte Gefuͤhl gegen die Tyrannei
einer ſeichten Verſtaͤndigkeit, eines flachen Liberalis¬
mus ſich empoͤrte, mußte das Mittelalter wieder zum
Muſter dienen. Als der Deutſche zum Gefuͤhl ſeiner
Plumpheit gelangte, gab er ſich dem leichtfuͤßigen
Franzmann in die Lehre. Als er in ſeinem traͤgen
politiſchen Schlafe Traͤume bekam, draͤngten ſich ihm
die Bilder Englands und Amerikas oder der alten
Republiken auf. Als er die Unbequemlichkeit und Un¬
natur ſeiner altfraͤnkiſchen Gewohnheiten endlich fuͤhlte,
mußte der Inſtinkt ihn zur griechiſchen Leichtigkeit,
ja zur Nacktheit zuruͤckfuͤhren. Als er durch Schick¬
ſal und Ungeſchick in Armuth verſunken war, mußte
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das Spielzeug oder werfen das Schulbuch in den

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[47/0057] dern auch von ſubjectiven Beſtimmungsgruͤnden ab. Dieſelben Muſter ſtehn immerwaͤhrend und zugleich vor unſern Augen, und doch intereſſiren wir uns ab¬ wechſelnd nur fuͤr die einen und ſind fuͤr die andern blind. Dies haͤngt von dem innern Entwicklungsgang unſrer Natur und von dem aͤußern großen Gange der Geſchichte ab. Wir intereſſiren uns immer fuͤr dasjenige Fremde, was gerade mit unſrer Bildungs¬ ſtufe und Stimmung am meiſten harmonirt. Als un¬ ſer Verſtand aus den engen Glaubensbanden frei zu werden begann, wurden die verſtaͤndigen, aufgeklaͤr¬ ten Alten unſre Muſter. Als das gaͤnzlich vernach¬ laͤſſigte oder mißhandelte Gefuͤhl gegen die Tyrannei einer ſeichten Verſtaͤndigkeit, eines flachen Liberalis¬ mus ſich empoͤrte, mußte das Mittelalter wieder zum Muſter dienen. Als der Deutſche zum Gefuͤhl ſeiner Plumpheit gelangte, gab er ſich dem leichtfuͤßigen Franzmann in die Lehre. Als er in ſeinem traͤgen politiſchen Schlafe Traͤume bekam, draͤngten ſich ihm die Bilder Englands und Amerikas oder der alten Republiken auf. Als er die Unbequemlichkeit und Un¬ natur ſeiner altfraͤnkiſchen Gewohnheiten endlich fuͤhlte, mußte der Inſtinkt ihn zur griechiſchen Leichtigkeit, ja zur Nacktheit zuruͤckfuͤhren. Als er durch Schick¬ ſal und Ungeſchick in Armuth verſunken war, mußte die materielle Wohlfahrt der Britten ihm ein Muſter werden. Gleich thoͤrichten Kindern aber zerbrechen wir das Spielzeug oder werfen das Schulbuch in den

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/57>, abgerufen am 22.11.2024.