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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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hinzugeben. Viele Gelehrte denken sich so ins Grie¬
chische, viele Romantiker so ins Mittelalter, viele
Politiker so ins Französische, viele Theologen so in
die Bibel hinein, daß sie von allem, was um sie
vorgeht, nichts mehr zu wissen scheinen. Dieser Zu¬
stand hat einige Ähnlichkeit mit Wahnsinn und führt
oft zu Wahnsinn. Den auf diese Weise Besessenen
kommt die ungemeine Bildungsfähigkeit der deutschen
Gesinnung und Sprache zu Hülfe. Sie wissen in der
Literatur die fremde Sprache trefflich zu erkünsteln,
und treiben den eigenthümlichen Geist der deutschen
Sprache aus, um fremde Götzen einzuführen. Sie
spotten über alle, die es ihnen nicht nachthun, und
erzürnen sich, wenn irgend die Natur sich der Kunst
nicht fügen will. Dergleichen Extreme reiben sich aber
an einander selber auf. Gäb' es außer uns nur noch
Ein Volk, so würden wir uns wahrscheinlich ganz in
dasselbe hineinstudieren, bis nichts mehr von uns
übrig bliebe. Da es aber viele gibt, die wir alle
nach einander nachahmen, und da sie mit einander
in Widerspruch stehn, so wird das Gleichgewicht im¬
mer wieder hergestellt. So hat die superfeine Con¬
venienz der Gallomanie an dem derben Humor der
Anglomanie, die regelrechte Gräkomanie an dem aus¬
schweifenden Orientalismus, der flache Liberalismus
an der mystischen Romantik sich aufreiben müssen,
und diese wieder an jenen. Die verschiednen Perio¬
den unsrer Nachahmungswuth hängen nicht allein von
der äußern Erscheinung fremder Vortrefflichkeiten, son¬

hinzugeben. Viele Gelehrte denken ſich ſo ins Grie¬
chiſche, viele Romantiker ſo ins Mittelalter, viele
Politiker ſo ins Franzoͤſiſche, viele Theologen ſo in
die Bibel hinein, daß ſie von allem, was um ſie
vorgeht, nichts mehr zu wiſſen ſcheinen. Dieſer Zu¬
ſtand hat einige Ähnlichkeit mit Wahnſinn und fuͤhrt
oft zu Wahnſinn. Den auf dieſe Weiſe Beſeſſenen
kommt die ungemeine Bildungsfaͤhigkeit der deutſchen
Geſinnung und Sprache zu Huͤlfe. Sie wiſſen in der
Literatur die fremde Sprache trefflich zu erkuͤnſteln,
und treiben den eigenthuͤmlichen Geiſt der deutſchen
Sprache aus, um fremde Goͤtzen einzufuͤhren. Sie
ſpotten uͤber alle, die es ihnen nicht nachthun, und
erzuͤrnen ſich, wenn irgend die Natur ſich der Kunſt
nicht fuͤgen will. Dergleichen Extreme reiben ſich aber
an einander ſelber auf. Gaͤb' es außer uns nur noch
Ein Volk, ſo wuͤrden wir uns wahrſcheinlich ganz in
daſſelbe hineinſtudieren, bis nichts mehr von uns
uͤbrig bliebe. Da es aber viele gibt, die wir alle
nach einander nachahmen, und da ſie mit einander
in Widerſpruch ſtehn, ſo wird das Gleichgewicht im¬
mer wieder hergeſtellt. So hat die ſuperfeine Con¬
venienz der Gallomanie an dem derben Humor der
Anglomanie, die regelrechte Graͤkomanie an dem aus¬
ſchweifenden Orientalismus, der flache Liberalismus
an der myſtiſchen Romantik ſich aufreiben muͤſſen,
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[46/0056] hinzugeben. Viele Gelehrte denken ſich ſo ins Grie¬ chiſche, viele Romantiker ſo ins Mittelalter, viele Politiker ſo ins Franzoͤſiſche, viele Theologen ſo in die Bibel hinein, daß ſie von allem, was um ſie vorgeht, nichts mehr zu wiſſen ſcheinen. Dieſer Zu¬ ſtand hat einige Ähnlichkeit mit Wahnſinn und fuͤhrt oft zu Wahnſinn. Den auf dieſe Weiſe Beſeſſenen kommt die ungemeine Bildungsfaͤhigkeit der deutſchen Geſinnung und Sprache zu Huͤlfe. Sie wiſſen in der Literatur die fremde Sprache trefflich zu erkuͤnſteln, und treiben den eigenthuͤmlichen Geiſt der deutſchen Sprache aus, um fremde Goͤtzen einzufuͤhren. Sie ſpotten uͤber alle, die es ihnen nicht nachthun, und erzuͤrnen ſich, wenn irgend die Natur ſich der Kunſt nicht fuͤgen will. Dergleichen Extreme reiben ſich aber an einander ſelber auf. Gaͤb' es außer uns nur noch Ein Volk, ſo wuͤrden wir uns wahrſcheinlich ganz in daſſelbe hineinſtudieren, bis nichts mehr von uns uͤbrig bliebe. Da es aber viele gibt, die wir alle nach einander nachahmen, und da ſie mit einander in Widerſpruch ſtehn, ſo wird das Gleichgewicht im¬ mer wieder hergeſtellt. So hat die ſuperfeine Con¬ venienz der Gallomanie an dem derben Humor der Anglomanie, die regelrechte Graͤkomanie an dem aus¬ ſchweifenden Orientalismus, der flache Liberalismus an der myſtiſchen Romantik ſich aufreiben muͤſſen, und dieſe wieder an jenen. Die verſchiednen Perio¬ den unſrer Nachahmungswuth haͤngen nicht allein von der aͤußern Erſcheinung fremder Vortrefflichkeiten, ſon¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/56>, abgerufen am 22.11.2024.