chanismus, vulgo Schlendriau, der in den alten Gleisen völlig seelenlos sich fortbewegt. Die Uni¬ versitäten sind Fabrikanstalten für Bücher und Bü¬ chermacher geworden. Man weicht von gewissen For¬ meln der Schule nicht ab, und jede neue Generation macht ihre Exercitien darnach. Aber die ursprüng¬ liche Wahrheit wird verdunkelt durch die unendlichen Commentare. Die Sache, auf die es eigentlich an¬ kommt, verschwindet endlich unter der Last von Ci¬ taten, die sie beweisen sollen. Das Leben entflieht unter dem anatomischen Messer. Das Wichtigste wird langweilig, das Ehrwürdigste trivial. Der Geist läßt sich nicht auf die Compendien spannen, und die Natur greift mächtig durch die Paragraphen, die sie einzuschließen wagen.
Durch die Polemik wird der modernde gelehrte Sumpf aufgerührt, und es verbreiten sich die me¬ phytischen Dämpfe. Nirgends zeigt sich die Unnatur der Stubengelehrten auffallender, als in ihren pole¬ mischen Schriften. Hier bewährt sich das gute alte Sprichwort: je gelehrter desto verkehrter. Auf der einen Seite sind sie so überschwenglich weise, daß es einem gesunden Verstande schwer wird, den labyrin¬ thischen Gängen ihrer Logik zu folgen. Auf der an¬ dern Seite sind sie in den gemeinsten Dingen so unwissend, daß ein Bauer sie belehren könnte. Bald sind sie so zart, scherzen attisch und machen Anspie¬ lungen, die einem alexandrinischen Bibliothekar zur
chanismus, vulgo Schlendriau, der in den alten Gleiſen voͤllig ſeelenlos ſich fortbewegt. Die Uni¬ verſitaͤten ſind Fabrikanſtalten fuͤr Buͤcher und Buͤ¬ chermacher geworden. Man weicht von gewiſſen For¬ meln der Schule nicht ab, und jede neue Generation macht ihre Exercitien darnach. Aber die urſpruͤng¬ liche Wahrheit wird verdunkelt durch die unendlichen Commentare. Die Sache, auf die es eigentlich an¬ kommt, verſchwindet endlich unter der Laſt von Ci¬ taten, die ſie beweiſen ſollen. Das Leben entflieht unter dem anatomiſchen Meſſer. Das Wichtigſte wird langweilig, das Ehrwuͤrdigſte trivial. Der Geiſt laͤßt ſich nicht auf die Compendien ſpannen, und die Natur greift maͤchtig durch die Paragraphen, die ſie einzuſchließen wagen.
Durch die Polemik wird der modernde gelehrte Sumpf aufgeruͤhrt, und es verbreiten ſich die me¬ phytiſchen Daͤmpfe. Nirgends zeigt ſich die Unnatur der Stubengelehrten auffallender, als in ihren pole¬ miſchen Schriften. Hier bewaͤhrt ſich das gute alte Sprichwort: je gelehrter deſto verkehrter. Auf der einen Seite ſind ſie ſo uͤberſchwenglich weiſe, daß es einem geſunden Verſtande ſchwer wird, den labyrin¬ thiſchen Gaͤngen ihrer Logik zu folgen. Auf der an¬ dern Seite ſind ſie in den gemeinſten Dingen ſo unwiſſend, daß ein Bauer ſie belehren koͤnnte. Bald ſind ſie ſo zart, ſcherzen attiſch und machen Anſpie¬ lungen, die einem alexandriniſchen Bibliothekar zur
<TEI><text><body><divn="1"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0049"n="39"/>
chanismus</hi>, <hirendition="#aq">vulgo</hi> Schlendriau, der in den alten<lb/>
Gleiſen voͤllig ſeelenlos ſich fortbewegt. Die Uni¬<lb/>
verſitaͤten ſind Fabrikanſtalten fuͤr Buͤcher und Buͤ¬<lb/>
chermacher geworden. Man weicht von gewiſſen For¬<lb/>
meln der Schule nicht ab, und jede neue Generation<lb/>
macht ihre Exercitien darnach. Aber die urſpruͤng¬<lb/>
liche Wahrheit wird verdunkelt durch die unendlichen<lb/>
Commentare. Die Sache, auf die es eigentlich an¬<lb/>
kommt, verſchwindet endlich unter der Laſt von Ci¬<lb/>
taten, die ſie beweiſen ſollen. Das Leben entflieht<lb/>
unter dem anatomiſchen Meſſer. Das Wichtigſte wird<lb/>
langweilig, das Ehrwuͤrdigſte trivial. Der Geiſt<lb/>
laͤßt ſich nicht auf die Compendien ſpannen, und die<lb/>
Natur greift maͤchtig durch die Paragraphen, die ſie<lb/>
einzuſchließen wagen.</p><lb/><p>Durch die <hirendition="#g">Polemik</hi> wird der modernde gelehrte<lb/>
Sumpf aufgeruͤhrt, und es verbreiten ſich die me¬<lb/>
phytiſchen Daͤmpfe. Nirgends zeigt ſich die Unnatur<lb/>
der Stubengelehrten auffallender, als in ihren pole¬<lb/>
miſchen Schriften. Hier bewaͤhrt ſich das gute alte<lb/>
Sprichwort: je gelehrter deſto verkehrter. Auf der<lb/>
einen Seite ſind ſie ſo uͤberſchwenglich weiſe, daß es<lb/>
einem geſunden Verſtande ſchwer wird, den labyrin¬<lb/>
thiſchen Gaͤngen ihrer Logik zu folgen. Auf der an¬<lb/>
dern Seite ſind ſie in den gemeinſten Dingen ſo<lb/>
unwiſſend, daß ein Bauer ſie belehren koͤnnte. Bald<lb/>ſind ſie ſo zart, ſcherzen attiſch und machen Anſpie¬<lb/>
lungen, die einem alexandriniſchen Bibliothekar zur<lb/></p></div></body></text></TEI>
[39/0049]
chanismus, vulgo Schlendriau, der in den alten
Gleiſen voͤllig ſeelenlos ſich fortbewegt. Die Uni¬
verſitaͤten ſind Fabrikanſtalten fuͤr Buͤcher und Buͤ¬
chermacher geworden. Man weicht von gewiſſen For¬
meln der Schule nicht ab, und jede neue Generation
macht ihre Exercitien darnach. Aber die urſpruͤng¬
liche Wahrheit wird verdunkelt durch die unendlichen
Commentare. Die Sache, auf die es eigentlich an¬
kommt, verſchwindet endlich unter der Laſt von Ci¬
taten, die ſie beweiſen ſollen. Das Leben entflieht
unter dem anatomiſchen Meſſer. Das Wichtigſte wird
langweilig, das Ehrwuͤrdigſte trivial. Der Geiſt
laͤßt ſich nicht auf die Compendien ſpannen, und die
Natur greift maͤchtig durch die Paragraphen, die ſie
einzuſchließen wagen.
Durch die Polemik wird der modernde gelehrte
Sumpf aufgeruͤhrt, und es verbreiten ſich die me¬
phytiſchen Daͤmpfe. Nirgends zeigt ſich die Unnatur
der Stubengelehrten auffallender, als in ihren pole¬
miſchen Schriften. Hier bewaͤhrt ſich das gute alte
Sprichwort: je gelehrter deſto verkehrter. Auf der
einen Seite ſind ſie ſo uͤberſchwenglich weiſe, daß es
einem geſunden Verſtande ſchwer wird, den labyrin¬
thiſchen Gaͤngen ihrer Logik zu folgen. Auf der an¬
dern Seite ſind ſie in den gemeinſten Dingen ſo
unwiſſend, daß ein Bauer ſie belehren koͤnnte. Bald
ſind ſie ſo zart, ſcherzen attiſch und machen Anſpie¬
lungen, die einem alexandriniſchen Bibliothekar zur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/49>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.