Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.
chanismus, vulgo Schlendriau, der in den alten Durch die Polemik wird der modernde gelehrte
chanismus, vulgo Schlendriau, der in den alten Durch die Polemik wird der modernde gelehrte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0049" n="39"/> chanismus</hi>, <hi rendition="#aq">vulgo</hi> Schlendriau, der in den alten<lb/> Gleiſen voͤllig ſeelenlos ſich fortbewegt. Die Uni¬<lb/> verſitaͤten ſind Fabrikanſtalten fuͤr Buͤcher und Buͤ¬<lb/> chermacher geworden. Man weicht von gewiſſen For¬<lb/> meln der Schule nicht ab, und jede neue Generation<lb/> macht ihre Exercitien darnach. Aber die urſpruͤng¬<lb/> liche Wahrheit wird verdunkelt durch die unendlichen<lb/> Commentare. Die Sache, auf die es eigentlich an¬<lb/> kommt, verſchwindet endlich unter der Laſt von Ci¬<lb/> taten, die ſie beweiſen ſollen. Das Leben entflieht<lb/> unter dem anatomiſchen Meſſer. Das Wichtigſte wird<lb/> langweilig, das Ehrwuͤrdigſte trivial. Der Geiſt<lb/> laͤßt ſich nicht auf die Compendien ſpannen, und die<lb/> Natur greift maͤchtig durch die Paragraphen, die ſie<lb/> einzuſchließen wagen.</p><lb/> <p>Durch die <hi rendition="#g">Polemik</hi> wird der modernde gelehrte<lb/> Sumpf aufgeruͤhrt, und es verbreiten ſich die me¬<lb/> phytiſchen Daͤmpfe. Nirgends zeigt ſich die Unnatur<lb/> der Stubengelehrten auffallender, als in ihren pole¬<lb/> miſchen Schriften. Hier bewaͤhrt ſich das gute alte<lb/> Sprichwort: je gelehrter deſto verkehrter. Auf der<lb/> einen Seite ſind ſie ſo uͤberſchwenglich weiſe, daß es<lb/> einem geſunden Verſtande ſchwer wird, den labyrin¬<lb/> thiſchen Gaͤngen ihrer Logik zu folgen. Auf der an¬<lb/> dern Seite ſind ſie in den gemeinſten Dingen ſo<lb/> unwiſſend, daß ein Bauer ſie belehren koͤnnte. Bald<lb/> ſind ſie ſo zart, ſcherzen attiſch und machen Anſpie¬<lb/> lungen, die einem alexandriniſchen Bibliothekar zur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [39/0049]
chanismus, vulgo Schlendriau, der in den alten
Gleiſen voͤllig ſeelenlos ſich fortbewegt. Die Uni¬
verſitaͤten ſind Fabrikanſtalten fuͤr Buͤcher und Buͤ¬
chermacher geworden. Man weicht von gewiſſen For¬
meln der Schule nicht ab, und jede neue Generation
macht ihre Exercitien darnach. Aber die urſpruͤng¬
liche Wahrheit wird verdunkelt durch die unendlichen
Commentare. Die Sache, auf die es eigentlich an¬
kommt, verſchwindet endlich unter der Laſt von Ci¬
taten, die ſie beweiſen ſollen. Das Leben entflieht
unter dem anatomiſchen Meſſer. Das Wichtigſte wird
langweilig, das Ehrwuͤrdigſte trivial. Der Geiſt
laͤßt ſich nicht auf die Compendien ſpannen, und die
Natur greift maͤchtig durch die Paragraphen, die ſie
einzuſchließen wagen.
Durch die Polemik wird der modernde gelehrte
Sumpf aufgeruͤhrt, und es verbreiten ſich die me¬
phytiſchen Daͤmpfe. Nirgends zeigt ſich die Unnatur
der Stubengelehrten auffallender, als in ihren pole¬
miſchen Schriften. Hier bewaͤhrt ſich das gute alte
Sprichwort: je gelehrter deſto verkehrter. Auf der
einen Seite ſind ſie ſo uͤberſchwenglich weiſe, daß es
einem geſunden Verſtande ſchwer wird, den labyrin¬
thiſchen Gaͤngen ihrer Logik zu folgen. Auf der an¬
dern Seite ſind ſie in den gemeinſten Dingen ſo
unwiſſend, daß ein Bauer ſie belehren koͤnnte. Bald
ſind ſie ſo zart, ſcherzen attiſch und machen Anſpie¬
lungen, die einem alexandriniſchen Bibliothekar zur
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