auf die Literatur äußern. Die Natur bedingt ihr eine örtliche, nationelle und individuelle Eigenthüm¬ lichkeit, sie wirkt auf die Charaktere, wie auf die Sprache, und ruft die mannigfaltigen Töne hervor, in welchen das Volk den Urlaut des Geschlechts, das Individuum den Urlaut des Volks modificirt. Wie aber die Natur auf die Schöpfer der Literatur einen tiefen Einfluß behauptet, so die Geschichte auf die Gegenstände und den äußern Verkehr derselben. Die Interessen des handelnden Lebens kommen in der Literatur zur Sprache. Jeder neue Geist wird von dem Strome der Parteien ergriffen und muß Par¬ tei halten oder machen. Endlich dürfen wir, so innig auch Natur, Geschichte, Geist in einer Ge¬ sammtwirkung sich durchdringen, doch die eigenthüm¬ lichen Entwicklungen jeder bestimmten Wissenschaft oder Kunst und ihren Einfluß auf die Literatur von den Einflüssen sowohl nationeller und individueller Charaktere, als des herrschenden Zeitgeistes unter¬ scheiden. Von eigenthümlichen Naturen oder vom Geist der Zeit ergriffen, erleidet jede Wissenschaft und Kunst mannigfache Modifikationen, doch schreitet sie conse¬ quent durch die Menschen und Jahrhunderte fort und wird nie einem Mann oder einer Nation oder einem Zeitalter allein Unterthan, von keinem ganz ergründet und vollendet. Wir betrachten demnach zuerst die all¬ gemeinen natürlichen und historischen Bedingungen uns¬ rer Literatur, sodann insbesondre jedes ihrer Fächer.
auf die Literatur aͤußern. Die Natur bedingt ihr eine oͤrtliche, nationelle und individuelle Eigenthuͤm¬ lichkeit, ſie wirkt auf die Charaktere, wie auf die Sprache, und ruft die mannigfaltigen Toͤne hervor, in welchen das Volk den Urlaut des Geſchlechts, das Individuum den Urlaut des Volks modificirt. Wie aber die Natur auf die Schoͤpfer der Literatur einen tiefen Einfluß behauptet, ſo die Geſchichte auf die Gegenſtaͤnde und den aͤußern Verkehr derſelben. Die Intereſſen des handelnden Lebens kommen in der Literatur zur Sprache. Jeder neue Geiſt wird von dem Strome der Parteien ergriffen und muß Par¬ tei halten oder machen. Endlich duͤrfen wir, ſo innig auch Natur, Geſchichte, Geiſt in einer Ge¬ ſammtwirkung ſich durchdringen, doch die eigenthuͤm¬ lichen Entwicklungen jeder beſtimmten Wiſſenſchaft oder Kunſt und ihren Einfluß auf die Literatur von den Einfluͤſſen ſowohl nationeller und individueller Charaktere, als des herrſchenden Zeitgeiſtes unter¬ ſcheiden. Von eigenthuͤmlichen Naturen oder vom Geiſt der Zeit ergriffen, erleidet jede Wiſſenſchaft und Kunſt mannigfache Modifikationen, doch ſchreitet ſie conſe¬ quent durch die Menſchen und Jahrhunderte fort und wird nie einem Mann oder einer Nation oder einem Zeitalter allein Unterthan, von keinem ganz ergruͤndet und vollendet. Wir betrachten demnach zuerſt die all¬ gemeinen natuͤrlichen und hiſtoriſchen Bedingungen unſ¬ rer Literatur, ſodann insbeſondre jedes ihrer Faͤcher.
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auf die Literatur aͤußern. Die Natur bedingt ihr
eine oͤrtliche, nationelle und individuelle Eigenthuͤm¬
lichkeit, ſie wirkt auf die Charaktere, wie auf die
Sprache, und ruft die mannigfaltigen Toͤne hervor,
in welchen das Volk den Urlaut des Geſchlechts,
das Individuum den Urlaut des Volks modificirt.
Wie aber die Natur auf die Schoͤpfer der Literatur
einen tiefen Einfluß behauptet, ſo die Geſchichte auf
die Gegenſtaͤnde und den aͤußern Verkehr derſelben.
Die Intereſſen des handelnden Lebens kommen in der
Literatur zur Sprache. Jeder neue Geiſt wird von
dem Strome der Parteien ergriffen und muß Par¬
tei halten oder machen. Endlich duͤrfen wir, ſo
innig auch Natur, Geſchichte, Geiſt in einer Ge¬
ſammtwirkung ſich durchdringen, doch die eigenthuͤm¬
lichen Entwicklungen jeder beſtimmten Wiſſenſchaft
oder Kunſt und ihren Einfluß auf die Literatur von
den Einfluͤſſen ſowohl nationeller und individueller
Charaktere, als des herrſchenden Zeitgeiſtes unter¬
ſcheiden. Von eigenthuͤmlichen Naturen oder vom Geiſt
der Zeit ergriffen, erleidet jede Wiſſenſchaft und Kunſt
mannigfache Modifikationen, doch ſchreitet ſie conſe¬
quent durch die Menſchen und Jahrhunderte fort und
wird nie einem Mann oder einer Nation oder einem
Zeitalter allein Unterthan, von keinem ganz ergruͤndet
und vollendet. Wir betrachten demnach zuerſt die all¬
gemeinen natuͤrlichen und hiſtoriſchen Bedingungen unſ¬
rer Literatur, ſodann insbeſondre jedes ihrer Faͤcher.
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/30>, abgerufen am 30.01.2025.
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