unterscheiden aber einen doppelten Weg, der dahin führt. Den ersten verfolgen die Menschen unbewußt. Er wird ihnen geboten durch die Naturnothwendig¬ keit. In der Abhängigkeit von Geschlecht, Familie, Stand, Volk, Sprache, Sitte, Kultur, Staat, Kirche, befolgt der Mensch instinktartig den geheimen Willen der Vorsehung, die über der Geschichte waltet, und in dem Reichthum und dem Wechsel der Erscheinun¬ gen die Menschheit aus dem längsten Wege zur Ent¬ wicklung bringt. Ist der Mensch aber einmal auf einer gewissen Stufe angelangt, so erkennt er den großen Plan der Vorsehung, und seine eigne Kraft, denselben mit Bewußtseyn auf kürzerem Wege zu vollstrecken. Er sieht in jenen Unterschieden, welche die Menschen von einander und von dem Gleicharti¬ gen, rein Menschlichen in Allem entfremdet, nur eine Hemmung jener Entwicklung, und sobald in Vielen zugleich diese Ansicht herrschend geworden, so müssen dieselben um so eher in ein geselliges Band treten, als dieses Band auch das Symbol dessen ist, was sie erstreben, da, sobald jeder Mensch vollkommen ist, brüderliche Gleichheit und Vereinigung Aller Statt finden muß. Sie werfen die Unterschiede des Stan¬ des, Volkes, Staates und Glaubens von sich; sie lassen sie unter sich nicht gelten, unterwerfen sich ih¬ nen aber außerhalb ihres Tempels, indem sie die blinde Naturgewalt, die in denselben vorherrscht, nicht aufzureizen, sondern allmählig zu zähmen, und den hohen und allgemeinen Zweck der Menschheit zu
unterſcheiden aber einen doppelten Weg, der dahin fuͤhrt. Den erſten verfolgen die Menſchen unbewußt. Er wird ihnen geboten durch die Naturnothwendig¬ keit. In der Abhaͤngigkeit von Geſchlecht, Familie, Stand, Volk, Sprache, Sitte, Kultur, Staat, Kirche, befolgt der Menſch inſtinktartig den geheimen Willen der Vorſehung, die uͤber der Geſchichte waltet, und in dem Reichthum und dem Wechſel der Erſcheinun¬ gen die Menſchheit aus dem laͤngſten Wege zur Ent¬ wicklung bringt. Iſt der Menſch aber einmal auf einer gewiſſen Stufe angelangt, ſo erkennt er den großen Plan der Vorſehung, und ſeine eigne Kraft, denſelben mit Bewußtſeyn auf kuͤrzerem Wege zu vollſtrecken. Er ſieht in jenen Unterſchieden, welche die Menſchen von einander und von dem Gleicharti¬ gen, rein Menſchlichen in Allem entfremdet, nur eine Hemmung jener Entwicklung, und ſobald in Vielen zugleich dieſe Anſicht herrſchend geworden, ſo muͤſſen dieſelben um ſo eher in ein geſelliges Band treten, als dieſes Band auch das Symbol deſſen iſt, was ſie erſtreben, da, ſobald jeder Menſch vollkommen iſt, bruͤderliche Gleichheit und Vereinigung Aller Statt finden muß. Sie werfen die Unterſchiede des Stan¬ des, Volkes, Staates und Glaubens von ſich; ſie laſſen ſie unter ſich nicht gelten, unterwerfen ſich ih¬ nen aber außerhalb ihres Tempels, indem ſie die blinde Naturgewalt, die in denſelben vorherrſcht, nicht aufzureizen, ſondern allmaͤhlig zu zaͤhmen, und den hohen und allgemeinen Zweck der Menſchheit zu
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unterſcheiden aber einen doppelten Weg, der dahin
fuͤhrt. Den erſten verfolgen die Menſchen unbewußt.
Er wird ihnen geboten durch die Naturnothwendig¬
keit. In der Abhaͤngigkeit von Geſchlecht, Familie,
Stand, Volk, Sprache, Sitte, Kultur, Staat, Kirche,
befolgt der Menſch inſtinktartig den geheimen Willen
der Vorſehung, die uͤber der Geſchichte waltet, und
in dem Reichthum und dem Wechſel der Erſcheinun¬
gen die Menſchheit aus dem laͤngſten Wege zur Ent¬
wicklung bringt. Iſt der Menſch aber einmal auf
einer gewiſſen Stufe angelangt, ſo erkennt er den
großen Plan der Vorſehung, und ſeine eigne Kraft,
denſelben mit Bewußtſeyn auf kuͤrzerem Wege zu
vollſtrecken. Er ſieht in jenen Unterſchieden, welche
die Menſchen von einander und von dem Gleicharti¬
gen, rein Menſchlichen in Allem entfremdet, nur eine
Hemmung jener Entwicklung, und ſobald in Vielen
zugleich dieſe Anſicht herrſchend geworden, ſo muͤſſen
dieſelben um ſo eher in ein geſelliges Band treten,
als dieſes Band auch das Symbol deſſen iſt, was
ſie erſtreben, da, ſobald jeder Menſch vollkommen iſt,
bruͤderliche Gleichheit und Vereinigung Aller Statt
finden muß. Sie werfen die Unterſchiede des Stan¬
des, Volkes, Staates und Glaubens von ſich; ſie
laſſen ſie unter ſich nicht gelten, unterwerfen ſich ih¬
nen aber außerhalb ihres Tempels, indem ſie die
blinde Naturgewalt, die in denſelben vorherrſcht,
nicht aufzureizen, ſondern allmaͤhlig zu zaͤhmen, und
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/288>, abgerufen am 23.11.2024.
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