darüber geschrieben. Verfassung, Administration und Jurisprudenz sind in allen Verzweigungen theils wis¬ senschaftlich ausgebildet worden, theils hat ihre prak¬ tische Ausübung eine ungeheure Literatur von Gesetz¬ gebung, Commentation und Vergleichung veranlaßt. Im Allgemeinen gilt von den Grundsätzen, die in dieser Literatur sich aussprechen, daß sie mäßig und größtentheils auf Mittelzustände bedacht sind, von Ton und Sprache derselben, daß sie äußerst umfassend, weitläuftig, langweilig sind. Die Praxis steht auf doppelte Weise der Theorie entgegen, sie ist der strengen Idee und eben darum auch der stren¬ gen Kürze fremd. Sie vermittelt und muß dabei umständlich verfahren. Sie hat es mit dem wirkli¬ chen Leben zu thun, und nicht nur alle Parteien, auch die Vergangenheit übt Einfluß auf sie. Sie ent¬ lehnt ihre Maximen zum Theil noch aus dem Mittel¬ alter, zum Theil aus der Reformation, zum Theil aus der Zeit der französischen Encyclopädie, zum Theil aus der Revolution. Der verwickelte Zustand der Staaten spiegelt sich in der Gesetzgebung, trägt sie und wird von ihr getragen.
Die Verfassungen zeigen uns zuerst diese Mi¬ schung mannigfacher Interessen, die in der mäßigen Temperatur eines Mittelzustandes sich zu neutralisi¬ ren suchen. Nur gleichsam an den äußersten Enden der deutschen Nation hat sich einerseits demokratische Freiheit, andrerseits unbedingte Autokratie erhalten können, die breite Mitte nimmt jenes Repräsentativ¬
daruͤber geſchrieben. Verfaſſung, Adminiſtration und Jurisprudenz ſind in allen Verzweigungen theils wiſ¬ ſenſchaftlich ausgebildet worden, theils hat ihre prak¬ tiſche Ausuͤbung eine ungeheure Literatur von Geſetz¬ gebung, Commentation und Vergleichung veranlaßt. Im Allgemeinen gilt von den Grundſaͤtzen, die in dieſer Literatur ſich ausſprechen, daß ſie maͤßig und groͤßtentheils auf Mittelzuſtaͤnde bedacht ſind, von Ton und Sprache derſelben, daß ſie aͤußerſt umfaſſend, weitlaͤuftig, langweilig ſind. Die Praxis ſteht auf doppelte Weiſe der Theorie entgegen, ſie iſt der ſtrengen Idee und eben darum auch der ſtren¬ gen Kuͤrze fremd. Sie vermittelt und muß dabei umſtaͤndlich verfahren. Sie hat es mit dem wirkli¬ chen Leben zu thun, und nicht nur alle Parteien, auch die Vergangenheit uͤbt Einfluß auf ſie. Sie ent¬ lehnt ihre Maximen zum Theil noch aus dem Mittel¬ alter, zum Theil aus der Reformation, zum Theil aus der Zeit der franzoͤſiſchen Encyclopaͤdie, zum Theil aus der Revolution. Der verwickelte Zuſtand der Staaten ſpiegelt ſich in der Geſetzgebung, traͤgt ſie und wird von ihr getragen.
Die Verfaſſungen zeigen uns zuerſt dieſe Mi¬ ſchung mannigfacher Intereſſen, die in der maͤßigen Temperatur eines Mittelzuſtandes ſich zu neutraliſi¬ ren ſuchen. Nur gleichſam an den aͤußerſten Enden der deutſchen Nation hat ſich einerſeits demokratiſche Freiheit, andrerſeits unbedingte Autokratie erhalten koͤnnen, die breite Mitte nimmt jenes Repraͤſentativ¬
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daruͤber geſchrieben. Verfaſſung, Adminiſtration und
Jurisprudenz ſind in allen Verzweigungen theils wiſ¬
ſenſchaftlich ausgebildet worden, theils hat ihre prak¬
tiſche Ausuͤbung eine ungeheure Literatur von Geſetz¬
gebung, Commentation und Vergleichung veranlaßt.
Im Allgemeinen gilt von den Grundſaͤtzen, die in
dieſer Literatur ſich ausſprechen, daß ſie maͤßig und
groͤßtentheils auf Mittelzuſtaͤnde bedacht ſind,
von Ton und Sprache derſelben, daß ſie aͤußerſt
umfaſſend, weitlaͤuftig, langweilig ſind. Die Praxis
ſteht auf doppelte Weiſe der Theorie entgegen, ſie
iſt der ſtrengen Idee und eben darum auch der ſtren¬
gen Kuͤrze fremd. Sie vermittelt und muß dabei
umſtaͤndlich verfahren. Sie hat es mit dem wirkli¬
chen Leben zu thun, und nicht nur alle Parteien,
auch die Vergangenheit uͤbt Einfluß auf ſie. Sie ent¬
lehnt ihre Maximen zum Theil noch aus dem Mittel¬
alter, zum Theil aus der Reformation, zum Theil
aus der Zeit der franzoͤſiſchen Encyclopaͤdie, zum
Theil aus der Revolution. Der verwickelte Zuſtand
der Staaten ſpiegelt ſich in der Geſetzgebung, traͤgt
ſie und wird von ihr getragen.
Die Verfaſſungen zeigen uns zuerſt dieſe Mi¬
ſchung mannigfacher Intereſſen, die in der maͤßigen
Temperatur eines Mittelzuſtandes ſich zu neutraliſi¬
ren ſuchen. Nur gleichſam an den aͤußerſten Enden
der deutſchen Nation hat ſich einerſeits demokratiſche
Freiheit, andrerſeits unbedingte Autokratie erhalten
koͤnnen, die breite Mitte nimmt jenes Repraͤſentativ¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/250>, abgerufen am 26.06.2024.
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