Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

lutisten es thun. Wenn auch jeder Philosoph am
Ziele seines Strebens mit Sokrates behaupten müßte:
die größte Weisheit sey, zu wissen, daß man nichts
wissen könne! so wird doch keiner ein Philosoph wer¬
den, der das glaubt.

Die Absolutisten unterschieden sich aber nach eben
den Gegensätzen von Subject und Object, die Kant's
Relationssystem festgestellt, und ihre Lehren sind in
einer historischen Folge hervorgetreten, die den übri¬
gen Richtungen der Zeit entsprochen hat. Da noch
der Protestantismus und die französische Encyklopä¬
die das Jahrhundert beherrschten, da Logik und Mo¬
ral an der Tagesordnung waren, da der Geist in
jedem Augenblick einen neuen Sieg über die Natur und
ihre geheimnißvolle Kraft erfocht, so darf man sich nicht
wundern, daß ein genialer Mann, wie Fichte, enthu¬
siastischen Beifall fand, als er die ganze Philoso¬
phie auf ein subjektives Moralgesetz zurückführte, die
Kantische Relation aufhob, die objective Natur ins
Nichts verwies, und nur ein absolutes Subject, ein
geistiges Ich anerkannte. Eine solche Einseitigkeit
bedurfte des äußersten logischen Scharfsinns, um nur
consequent durchgeführt werden zu können, und die¬
ser bereicherte wieder den Formalismus der Philo¬
sophie. Es war keine Kunst, das Fichtesche System
zu läugnen, aber eine Kunst, es zu widerlegen, und
jedes folgende System erbte seinen Scharfsinn, wie
Spolien des Feindes. Überdem war Fichte's Ein¬
seitigkeit dem Moralsystem wenigstens so günstig, daß

lutiſten es thun. Wenn auch jeder Philoſoph am
Ziele ſeines Strebens mit Sokrates behaupten muͤßte:
die groͤßte Weisheit ſey, zu wiſſen, daß man nichts
wiſſen koͤnne! ſo wird doch keiner ein Philoſoph wer¬
den, der das glaubt.

Die Abſolutiſten unterſchieden ſich aber nach eben
den Gegenſaͤtzen von Subject und Object, die Kant's
Relationsſyſtem feſtgeſtellt, und ihre Lehren ſind in
einer hiſtoriſchen Folge hervorgetreten, die den uͤbri¬
gen Richtungen der Zeit entſprochen hat. Da noch
der Proteſtantismus und die franzoͤſiſche Encyklopaͤ¬
die das Jahrhundert beherrſchten, da Logik und Mo¬
ral an der Tagesordnung waren, da der Geiſt in
jedem Augenblick einen neuen Sieg uͤber die Natur und
ihre geheimnißvolle Kraft erfocht, ſo darf man ſich nicht
wundern, daß ein genialer Mann, wie Fichte, enthu¬
ſiaſtiſchen Beifall fand, als er die ganze Philoſo¬
phie auf ein ſubjektives Moralgeſetz zuruͤckfuͤhrte, die
Kantiſche Relation aufhob, die objective Natur ins
Nichts verwies, und nur ein abſolutes Subject, ein
geiſtiges Ich anerkannte. Eine ſolche Einſeitigkeit
bedurfte des aͤußerſten logiſchen Scharfſinns, um nur
conſequent durchgefuͤhrt werden zu koͤnnen, und die¬
ſer bereicherte wieder den Formalismus der Philo¬
ſophie. Es war keine Kunſt, das Fichteſche Syſtem
zu laͤugnen, aber eine Kunſt, es zu widerlegen, und
jedes folgende Syſtem erbte ſeinen Scharfſinn, wie
Spolien des Feindes. Überdem war Fichte's Ein¬
ſeitigkeit dem Moralſyſtem wenigſtens ſo guͤnſtig, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="165"/>
luti&#x017F;ten es thun. Wenn auch jeder Philo&#x017F;oph am<lb/>
Ziele &#x017F;eines Strebens mit Sokrates behaupten mu&#x0364;ßte:<lb/>
die gro&#x0364;ßte Weisheit &#x017F;ey, zu wi&#x017F;&#x017F;en, daß man nichts<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nne! &#x017F;o wird doch keiner ein Philo&#x017F;oph wer¬<lb/>
den, der das glaubt.</p><lb/>
        <p>Die Ab&#x017F;oluti&#x017F;ten unter&#x017F;chieden &#x017F;ich aber nach eben<lb/>
den Gegen&#x017F;a&#x0364;tzen von Subject und Object, die Kant's<lb/>
Relations&#x017F;y&#x017F;tem fe&#x017F;tge&#x017F;tellt, und ihre Lehren &#x017F;ind in<lb/>
einer hi&#x017F;tori&#x017F;chen Folge hervorgetreten, die den u&#x0364;bri¬<lb/>
gen Richtungen der Zeit ent&#x017F;prochen hat. Da noch<lb/>
der Prote&#x017F;tantismus und die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Encyklopa&#x0364;¬<lb/>
die das Jahrhundert beherr&#x017F;chten, da Logik und Mo¬<lb/>
ral an der Tagesordnung waren, da der Gei&#x017F;t in<lb/>
jedem Augenblick einen neuen Sieg u&#x0364;ber die Natur und<lb/>
ihre geheimnißvolle Kraft erfocht, &#x017F;o darf man &#x017F;ich nicht<lb/>
wundern, daß ein genialer Mann, wie <hi rendition="#g">Fichte</hi>, enthu¬<lb/>
&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;chen Beifall fand, als er die ganze Philo&#x017F;<lb/>
phie auf ein &#x017F;ubjektives Moralge&#x017F;etz zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hrte, die<lb/>
Kanti&#x017F;che Relation aufhob, die objective Natur ins<lb/>
Nichts verwies, und nur ein ab&#x017F;olutes Subject, ein<lb/>
gei&#x017F;tiges Ich anerkannte. Eine &#x017F;olche Ein&#x017F;eitigkeit<lb/>
bedurfte des a&#x0364;ußer&#x017F;ten logi&#x017F;chen Scharf&#x017F;inns, um nur<lb/>
con&#x017F;equent durchgefu&#x0364;hrt werden zu ko&#x0364;nnen, und die¬<lb/>
&#x017F;er bereicherte wieder den Formalismus der Philo¬<lb/>
&#x017F;ophie. Es war keine Kun&#x017F;t, das Fichte&#x017F;che Sy&#x017F;tem<lb/>
zu la&#x0364;ugnen, aber eine Kun&#x017F;t, es zu widerlegen, und<lb/>
jedes folgende Sy&#x017F;tem erbte &#x017F;einen Scharf&#x017F;inn, wie<lb/>
Spolien des Feindes. Überdem war Fichte's Ein¬<lb/>
&#x017F;eitigkeit dem Moral&#x017F;y&#x017F;tem wenig&#x017F;tens &#x017F;o gu&#x0364;n&#x017F;tig, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0175] lutiſten es thun. Wenn auch jeder Philoſoph am Ziele ſeines Strebens mit Sokrates behaupten muͤßte: die groͤßte Weisheit ſey, zu wiſſen, daß man nichts wiſſen koͤnne! ſo wird doch keiner ein Philoſoph wer¬ den, der das glaubt. Die Abſolutiſten unterſchieden ſich aber nach eben den Gegenſaͤtzen von Subject und Object, die Kant's Relationsſyſtem feſtgeſtellt, und ihre Lehren ſind in einer hiſtoriſchen Folge hervorgetreten, die den uͤbri¬ gen Richtungen der Zeit entſprochen hat. Da noch der Proteſtantismus und die franzoͤſiſche Encyklopaͤ¬ die das Jahrhundert beherrſchten, da Logik und Mo¬ ral an der Tagesordnung waren, da der Geiſt in jedem Augenblick einen neuen Sieg uͤber die Natur und ihre geheimnißvolle Kraft erfocht, ſo darf man ſich nicht wundern, daß ein genialer Mann, wie Fichte, enthu¬ ſiaſtiſchen Beifall fand, als er die ganze Philoſo¬ phie auf ein ſubjektives Moralgeſetz zuruͤckfuͤhrte, die Kantiſche Relation aufhob, die objective Natur ins Nichts verwies, und nur ein abſolutes Subject, ein geiſtiges Ich anerkannte. Eine ſolche Einſeitigkeit bedurfte des aͤußerſten logiſchen Scharfſinns, um nur conſequent durchgefuͤhrt werden zu koͤnnen, und die¬ ſer bereicherte wieder den Formalismus der Philo¬ ſophie. Es war keine Kunſt, das Fichteſche Syſtem zu laͤugnen, aber eine Kunſt, es zu widerlegen, und jedes folgende Syſtem erbte ſeinen Scharfſinn, wie Spolien des Feindes. Überdem war Fichte's Ein¬ ſeitigkeit dem Moralſyſtem wenigſtens ſo guͤnſtig, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/175
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/175>, abgerufen am 27.04.2024.