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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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ein Object vernehmen, aber nur nach subjectiven Ge¬
setzen der in uns liegenden Vernunft, und daß das
Object uns zwar nur unter den subjectiven Bedin¬
gungen erscheint, aber doch auch etwas an sich seyn
kann. Man bemerkte, daß dieß zu keinem absoluten
Wissen führen könne, und die Absolutisten trennten
sich. Die einen wurden absolute Subjectisten, die
das Ansichseyn der objectiven Welt, das Kant dahin
gestellt seyn lassen, geradezu läugneten; die andern
wurden absolute Objectisten, welche das subjective
Vernehmen vom Wesen des Gegenstandes abhängig
machten; noch andre nahmen eine absolute Identität
zwischen Geist und Natur, der subjectiven und ob¬
jectiven Welt, des Vernehmens und seines Gegen¬
standes an. Endlich hatte Kant die verschiednen Or¬
gane der menschlichen Vernunft zusammengefaßt und
jedem gleiches Recht angedeihen lassen. Er sah mehr
auf das Ganze der Seelenthätigkeiten und brachte
sie unter ein Gleichmaaß: in andern waren je be¬
sondre Organe vorzüglich entwickelt und wurden wie¬
der einseitig in der höchsten Evidenz herausgestellt.
Einer hatte mehr Sinn für die Natur, ein andrer
mehr für die Moral, ein dritter mehr für die Logik
und bildete demgemäß sein ganzes System einseitig
aus. Das Wichtigste in dieser Parteiung ist aber
die Consequenz, die Kant hineingebracht. Als Folge
oder als Gegensatz stehn alle Philosophien nach der
seinigen mit dieser in Verbindung. Alle philosophi¬
sche Parteiung beruht auf den Gegensätzen des be¬

ein Object vernehmen, aber nur nach ſubjectiven Ge¬
ſetzen der in uns liegenden Vernunft, und daß das
Object uns zwar nur unter den ſubjectiven Bedin¬
gungen erſcheint, aber doch auch etwas an ſich ſeyn
kann. Man bemerkte, daß dieß zu keinem abſoluten
Wiſſen fuͤhren koͤnne, und die Abſolutiſten trennten
ſich. Die einen wurden abſolute Subjectiſten, die
das Anſichſeyn der objectiven Welt, das Kant dahin
geſtellt ſeyn laſſen, geradezu laͤugneten; die andern
wurden abſolute Objectiſten, welche das ſubjective
Vernehmen vom Weſen des Gegenſtandes abhaͤngig
machten; noch andre nahmen eine abſolute Identitaͤt
zwiſchen Geiſt und Natur, der ſubjectiven und ob¬
jectiven Welt, des Vernehmens und ſeines Gegen¬
ſtandes an. Endlich hatte Kant die verſchiednen Or¬
gane der menſchlichen Vernunft zuſammengefaßt und
jedem gleiches Recht angedeihen laſſen. Er ſah mehr
auf das Ganze der Seelenthaͤtigkeiten und brachte
ſie unter ein Gleichmaaß: in andern waren je be¬
ſondre Organe vorzuͤglich entwickelt und wurden wie¬
der einſeitig in der hoͤchſten Evidenz herausgeſtellt.
Einer hatte mehr Sinn fuͤr die Natur, ein andrer
mehr fuͤr die Moral, ein dritter mehr fuͤr die Logik
und bildete demgemaͤß ſein ganzes Syſtem einſeitig
aus. Das Wichtigſte in dieſer Parteiung iſt aber
die Conſequenz, die Kant hineingebracht. Als Folge
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[163/0173] ein Object vernehmen, aber nur nach ſubjectiven Ge¬ ſetzen der in uns liegenden Vernunft, und daß das Object uns zwar nur unter den ſubjectiven Bedin¬ gungen erſcheint, aber doch auch etwas an ſich ſeyn kann. Man bemerkte, daß dieß zu keinem abſoluten Wiſſen fuͤhren koͤnne, und die Abſolutiſten trennten ſich. Die einen wurden abſolute Subjectiſten, die das Anſichſeyn der objectiven Welt, das Kant dahin geſtellt ſeyn laſſen, geradezu laͤugneten; die andern wurden abſolute Objectiſten, welche das ſubjective Vernehmen vom Weſen des Gegenſtandes abhaͤngig machten; noch andre nahmen eine abſolute Identitaͤt zwiſchen Geiſt und Natur, der ſubjectiven und ob¬ jectiven Welt, des Vernehmens und ſeines Gegen¬ ſtandes an. Endlich hatte Kant die verſchiednen Or¬ gane der menſchlichen Vernunft zuſammengefaßt und jedem gleiches Recht angedeihen laſſen. Er ſah mehr auf das Ganze der Seelenthaͤtigkeiten und brachte ſie unter ein Gleichmaaß: in andern waren je be¬ ſondre Organe vorzuͤglich entwickelt und wurden wie¬ der einſeitig in der hoͤchſten Evidenz herausgeſtellt. Einer hatte mehr Sinn fuͤr die Natur, ein andrer mehr fuͤr die Moral, ein dritter mehr fuͤr die Logik und bildete demgemaͤß ſein ganzes Syſtem einſeitig aus. Das Wichtigſte in dieſer Parteiung iſt aber die Conſequenz, die Kant hineingebracht. Als Folge oder als Gegenſatz ſtehn alle Philoſophien nach der ſeinigen mit dieſer in Verbindung. Alle philoſophi¬ ſche Parteiung beruht auf den Gegenſaͤtzen des be¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/173>, abgerufen am 27.04.2024.