Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.allen Dingen, gleichsam den Verstand Gottes zu er¬ Der Mensch frägt und beantwortet die Fragen allen Dingen, gleichſam den Verſtand Gottes zu er¬ Der Menſch fraͤgt und beantwortet die Fragen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="158"/> allen Dingen, gleichſam den Verſtand Gottes zu er¬<lb/> reichen, ſo iſt doch eben die Erreichung des Zieles,<lb/> die uns Gott gleichmachen wuͤrde, unmoͤglich, und<lb/> nicht nur in der Art, wie wir philoſophiren, ſon¬<lb/> dern ſchon darin, daß wir philoſophiren, liegt ein<lb/> innrer Widerſpruch, und nur das Streben ſelbſt iſt<lb/> das Ziel. Es gibt viele Philoſophien, weil es keine<lb/> Philoſophie, d. h. keine alleinguͤltige geben kann, und<lb/> dieſe Philoſophien ſind nur Methoden, zu philoſophi¬<lb/> ren, weil ſie nicht durch das Ziel, ſondern durch den<lb/> Weg dazu bedingt ſind.</p><lb/> <p>Der Menſch fraͤgt und beantwortet die Fragen<lb/> ſo lange wieder mit Fragen, bis er an eine letzte<lb/> Frage kommt. Anfangs hielt man die Philoſophie<lb/> nur fuͤr eine Kunſt zu antworten, jetzt haͤlt man ſie<lb/> richtiger fuͤr eine Kunſt, zu fragen. Um die erſte<lb/> Frage zu beantworten, mußte man die zweite thun,<lb/> deren Antwort erſt jene beantworten kann. Man<lb/> frug: was iſt? und ſah ſich genoͤthigt zu fragen;<lb/> was denk ich, das ſey? und wieder: wie komm ich<lb/> zum denken, und auf welche Weiſe denk ich? So hat<lb/> eine deutſche Philoſophie ſich uͤber die andre gebaut.<lb/> Man hat je von einer Wiſſenſchaft, die gerade vor¬<lb/> herrſchte, den Weg in die Philoſophie geſucht, und<lb/> entweder die hoͤchſte Frage fuͤr eine Wiſſenſchaft zur<lb/> hoͤchſten der Philoſophie gemacht, oder doch von der<lb/> Philoſophie die Beantwortung jener erſten erwartet.<lb/> So haben die Fragen ſich zugleich vervielfaͤltigt und<lb/> dadurch wieder geſchaͤrft und vereinfacht.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [158/0168]
allen Dingen, gleichſam den Verſtand Gottes zu er¬
reichen, ſo iſt doch eben die Erreichung des Zieles,
die uns Gott gleichmachen wuͤrde, unmoͤglich, und
nicht nur in der Art, wie wir philoſophiren, ſon¬
dern ſchon darin, daß wir philoſophiren, liegt ein
innrer Widerſpruch, und nur das Streben ſelbſt iſt
das Ziel. Es gibt viele Philoſophien, weil es keine
Philoſophie, d. h. keine alleinguͤltige geben kann, und
dieſe Philoſophien ſind nur Methoden, zu philoſophi¬
ren, weil ſie nicht durch das Ziel, ſondern durch den
Weg dazu bedingt ſind.
Der Menſch fraͤgt und beantwortet die Fragen
ſo lange wieder mit Fragen, bis er an eine letzte
Frage kommt. Anfangs hielt man die Philoſophie
nur fuͤr eine Kunſt zu antworten, jetzt haͤlt man ſie
richtiger fuͤr eine Kunſt, zu fragen. Um die erſte
Frage zu beantworten, mußte man die zweite thun,
deren Antwort erſt jene beantworten kann. Man
frug: was iſt? und ſah ſich genoͤthigt zu fragen;
was denk ich, das ſey? und wieder: wie komm ich
zum denken, und auf welche Weiſe denk ich? So hat
eine deutſche Philoſophie ſich uͤber die andre gebaut.
Man hat je von einer Wiſſenſchaft, die gerade vor¬
herrſchte, den Weg in die Philoſophie geſucht, und
entweder die hoͤchſte Frage fuͤr eine Wiſſenſchaft zur
hoͤchſten der Philoſophie gemacht, oder doch von der
Philoſophie die Beantwortung jener erſten erwartet.
So haben die Fragen ſich zugleich vervielfaͤltigt und
dadurch wieder geſchaͤrft und vereinfacht.
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