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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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mit dem Protestantismus und Katholicismus sich ver¬
söhnen und eine neue Kirche begründen.

So widersinnig diese Prophezeihung, in unserer,
den religiösen Interessen fast abgestorbnen, indiffe¬
renten, weltlichen Zeit dem großen Haufen derer er¬
scheinen möchte, welche gar nicht an die Zukunft
denken, oder sie nur mit Idealen weltlicher Staaten
erfüllen, so wird doch eine kleine Minderzahl mit
mir übereinstimmen. Die Wenigen, die in dieser Zeit
von Gott erfüllt sind, werden nicht zweifeln, daß
wieder eine Zeit, wenn auch spät kommen werde, da
das religiöse Interesse jedes andere beherrschen wird,
und daß der Pietismus der Weg dazu sey, daß in
ihm die neue Verjüngung des verachteten Glaubens
und die Versöhnung der bisher getrennten Religions¬
parteien vorbereitet werde.

Denen, welche die Macht einer religiösen Ge¬
sellschaft bezweifeln, wenn sie nicht in eine starke
äußere Kirche consolidirt ist, muß bemerkt werden,
daß die Pietisten, theils in der gegenwärtigen Zeit
wirklich noch zu vereinzelt, schwach und vom Einfluß
der herrschenden Systeme noch beherrscht zu uneinig
und oft zu verderbt sind, um eine mächtige Kirche
herzustellen; daß es theils aber auch gar nicht im
Wesen des Pietismus liegt, sich äußerlich geltend zu
machen und mit weltlicher Macht zu umkleiden. Der
Pietist lebt im Gemüth und wendet sich von allen
Äußerlichkeiten ab. Der Strom der Gefühle consoli¬
dirt sich schwer, und wo nur immer innerlich em¬

mit dem Proteſtantismus und Katholicismus ſich ver¬
ſoͤhnen und eine neue Kirche begruͤnden.

So widerſinnig dieſe Prophezeihung, in unſerer,
den religioͤſen Intereſſen faſt abgeſtorbnen, indiffe¬
renten, weltlichen Zeit dem großen Haufen derer er¬
ſcheinen moͤchte, welche gar nicht an die Zukunft
denken, oder ſie nur mit Idealen weltlicher Staaten
erfuͤllen, ſo wird doch eine kleine Minderzahl mit
mir uͤbereinſtimmen. Die Wenigen, die in dieſer Zeit
von Gott erfuͤllt ſind, werden nicht zweifeln, daß
wieder eine Zeit, wenn auch ſpaͤt kommen werde, da
das religioͤſe Intereſſe jedes andere beherrſchen wird,
und daß der Pietismus der Weg dazu ſey, daß in
ihm die neue Verjuͤngung des verachteten Glaubens
und die Verſoͤhnung der bisher getrennten Religions¬
parteien vorbereitet werde.

Denen, welche die Macht einer religioͤſen Ge¬
ſellſchaft bezweifeln, wenn ſie nicht in eine ſtarke
aͤußere Kirche conſolidirt iſt, muß bemerkt werden,
daß die Pietiſten, theils in der gegenwaͤrtigen Zeit
wirklich noch zu vereinzelt, ſchwach und vom Einfluß
der herrſchenden Syſteme noch beherrſcht zu uneinig
und oft zu verderbt ſind, um eine maͤchtige Kirche
herzuſtellen; daß es theils aber auch gar nicht im
Weſen des Pietismus liegt, ſich aͤußerlich geltend zu
machen und mit weltlicher Macht zu umkleiden. Der
Pietiſt lebt im Gemuͤth und wendet ſich von allen
Äußerlichkeiten ab. Der Strom der Gefuͤhle conſoli¬
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[148/0158] mit dem Proteſtantismus und Katholicismus ſich ver¬ ſoͤhnen und eine neue Kirche begruͤnden. So widerſinnig dieſe Prophezeihung, in unſerer, den religioͤſen Intereſſen faſt abgeſtorbnen, indiffe¬ renten, weltlichen Zeit dem großen Haufen derer er¬ ſcheinen moͤchte, welche gar nicht an die Zukunft denken, oder ſie nur mit Idealen weltlicher Staaten erfuͤllen, ſo wird doch eine kleine Minderzahl mit mir uͤbereinſtimmen. Die Wenigen, die in dieſer Zeit von Gott erfuͤllt ſind, werden nicht zweifeln, daß wieder eine Zeit, wenn auch ſpaͤt kommen werde, da das religioͤſe Intereſſe jedes andere beherrſchen wird, und daß der Pietismus der Weg dazu ſey, daß in ihm die neue Verjuͤngung des verachteten Glaubens und die Verſoͤhnung der bisher getrennten Religions¬ parteien vorbereitet werde. Denen, welche die Macht einer religioͤſen Ge¬ ſellſchaft bezweifeln, wenn ſie nicht in eine ſtarke aͤußere Kirche conſolidirt iſt, muß bemerkt werden, daß die Pietiſten, theils in der gegenwaͤrtigen Zeit wirklich noch zu vereinzelt, ſchwach und vom Einfluß der herrſchenden Syſteme noch beherrſcht zu uneinig und oft zu verderbt ſind, um eine maͤchtige Kirche herzuſtellen; daß es theils aber auch gar nicht im Weſen des Pietismus liegt, ſich aͤußerlich geltend zu machen und mit weltlicher Macht zu umkleiden. Der Pietiſt lebt im Gemuͤth und wendet ſich von allen Äußerlichkeiten ab. Der Strom der Gefuͤhle conſoli¬ dirt ſich ſchwer, und wo nur immer innerlich em¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/158>, abgerufen am 27.04.2024.