übertäuben. Wer die Gebete zählen mußte, konnte nicht mehr beten. Was Wunder also, daß der Ver¬ stand mit seinem alles durchdringenden Blitz endlich den stolzen Bau jener Kirche zerriß. Als er aber einmal zur Herrschaft gekommen, war es eben so na¬ türlich, daß er seinerseits in einseitige Übertreibung verfiel. Er mißtraute jener Sinnlichkeit, der er einst erlegen war, und verdammte mit den äußern Zeichen auch die Offenbarung Gottes in der Schönheit, ja viele seiner Verfechter wählten die Häßlichkeit mit Vorliebe, um nur jenem Einfluß der Schönheit zu begegnen. Das Gefühl aber konnte nicht aufkommen gegen die kriegerische Besonnenheit jener Verständi¬ gen, die in ihm zwar keinen Feind, doch einen zwei¬ deutigen Nachbar erkannten, bei welchem der Feind leicht Posto fassen könnte, die ihm daher die Fesseln des Wortes anlegten, wie der Katholicismus ihm einst die der Werkthätigkeit aufgedrungen.
Da flüchtete das mißhandelte Herz, die Gott¬ trunkenheit andächtiger Seelen in die verfolgten Sek¬ ten des Pietismus. Aber auch sie sind in einer schroffen Einseitigkeit befangen, worin sie besonders die Verfolgung fortwährend erhält. Sie sind gleich¬ sam ertrunken und aufgelöst in Gefühlen und kön¬ nen weder die Wirklichkeit des Göttlichen, wie die Katholiken, noch das Gesetz des Göttlichen, wie die Protestanten, erfassen. Sie schwimmen im Nebelhaf¬ ten und Formlosen. Sie mißtrauen der Sinnlichkeit, weil sie dieselbe für eine Fessel halten, weil sie vom
uͤbertaͤuben. Wer die Gebete zaͤhlen mußte, konnte nicht mehr beten. Was Wunder alſo, daß der Ver¬ ſtand mit ſeinem alles durchdringenden Blitz endlich den ſtolzen Bau jener Kirche zerriß. Als er aber einmal zur Herrſchaft gekommen, war es eben ſo na¬ tuͤrlich, daß er ſeinerſeits in einſeitige Übertreibung verfiel. Er mißtraute jener Sinnlichkeit, der er einſt erlegen war, und verdammte mit den aͤußern Zeichen auch die Offenbarung Gottes in der Schoͤnheit, ja viele ſeiner Verfechter waͤhlten die Haͤßlichkeit mit Vorliebe, um nur jenem Einfluß der Schoͤnheit zu begegnen. Das Gefuͤhl aber konnte nicht aufkommen gegen die kriegeriſche Beſonnenheit jener Verſtaͤndi¬ gen, die in ihm zwar keinen Feind, doch einen zwei¬ deutigen Nachbar erkannten, bei welchem der Feind leicht Poſto faſſen koͤnnte, die ihm daher die Feſſeln des Wortes anlegten, wie der Katholicismus ihm einſt die der Werkthaͤtigkeit aufgedrungen.
Da fluͤchtete das mißhandelte Herz, die Gott¬ trunkenheit andaͤchtiger Seelen in die verfolgten Sek¬ ten des Pietismus. Aber auch ſie ſind in einer ſchroffen Einſeitigkeit befangen, worin ſie beſonders die Verfolgung fortwaͤhrend erhaͤlt. Sie ſind gleich¬ ſam ertrunken und aufgeloͤst in Gefuͤhlen und koͤn¬ nen weder die Wirklichkeit des Goͤttlichen, wie die Katholiken, noch das Geſetz des Goͤttlichen, wie die Proteſtanten, erfaſſen. Sie ſchwimmen im Nebelhaf¬ ten und Formloſen. Sie mißtrauen der Sinnlichkeit, weil ſie dieſelbe fuͤr eine Feſſel halten, weil ſie vom
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uͤbertaͤuben. Wer die Gebete zaͤhlen mußte, konnte
nicht mehr beten. Was Wunder alſo, daß der Ver¬
ſtand mit ſeinem alles durchdringenden Blitz endlich
den ſtolzen Bau jener Kirche zerriß. Als er aber
einmal zur Herrſchaft gekommen, war es eben ſo na¬
tuͤrlich, daß er ſeinerſeits in einſeitige Übertreibung
verfiel. Er mißtraute jener Sinnlichkeit, der er einſt
erlegen war, und verdammte mit den aͤußern Zeichen
auch die Offenbarung Gottes in der Schoͤnheit, ja
viele ſeiner Verfechter waͤhlten die Haͤßlichkeit mit
Vorliebe, um nur jenem Einfluß der Schoͤnheit zu
begegnen. Das Gefuͤhl aber konnte nicht aufkommen
gegen die kriegeriſche Beſonnenheit jener Verſtaͤndi¬
gen, die in ihm zwar keinen Feind, doch einen zwei¬
deutigen Nachbar erkannten, bei welchem der Feind
leicht Poſto faſſen koͤnnte, die ihm daher die Feſſeln
des Wortes anlegten, wie der Katholicismus ihm
einſt die der Werkthaͤtigkeit aufgedrungen.
Da fluͤchtete das mißhandelte Herz, die Gott¬
trunkenheit andaͤchtiger Seelen in die verfolgten Sek¬
ten des Pietismus. Aber auch ſie ſind in einer
ſchroffen Einſeitigkeit befangen, worin ſie beſonders
die Verfolgung fortwaͤhrend erhaͤlt. Sie ſind gleich¬
ſam ertrunken und aufgeloͤst in Gefuͤhlen und koͤn¬
nen weder die Wirklichkeit des Goͤttlichen, wie die
Katholiken, noch das Geſetz des Goͤttlichen, wie die
Proteſtanten, erfaſſen. Sie ſchwimmen im Nebelhaf¬
ten und Formloſen. Sie mißtrauen der Sinnlichkeit,
weil ſie dieſelbe fuͤr eine Feſſel halten, weil ſie vom
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/100>, abgerufen am 04.05.2024.
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