"schwören den Mitbürger nur, den wir mit ei- "nem Amte bekleiden, daß er dieses Amt, wel- "ches ihm, unter der Bedingung der Ueberein- "stimmung anvertrauet wird, nicht ohne Ueber- "einstimmung annehme. Dieses ist ein Ver- "trag, den wir mit ihm eingehen. Finden sich "nachher Zweifel, die diese Uebereinstimmung "aufheben; so stehet es ja bey ihm, seinem "Gewissen treu zu seyn, und das Amt nieder- "zu legen. Welche Gewissensfreyheit, welche "Rechte der Menschheit erlauben, wider einen "Vertrag zu handeln?"
Nun wohl! ich will diesem Schein von Gerechtigkeit nicht alle die Gründe entgegen setzen, die nach oben ausgeführten augenschein- lichen Grundsätzen, entgegen gesetzt werden kön- nen. Wozu unnöthige Wiederholungen? aber um der Menschlichkeit willen! bedenket den Er- folg, den diese Einrichtung bisher unter den gesittesten Menschenkindern gehabt hat. Zählet die Männer alle, die eure Lehrstühle und eure Kanzeln besteigen, und so manchen Satz, den sie bey der Uebernehmung ihres Amts beschwo- ren, in Zweifel ziehen; die Bischöffe alle, die
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„ſchwoͤren den Mitbuͤrger nur, den wir mit ei- „nem Amte bekleiden, daß er dieſes Amt, wel- „ches ihm, unter der Bedingung der Ueberein- „ſtimmung anvertrauet wird, nicht ohne Ueber- „einſtimmung annehme. Dieſes iſt ein Ver- „trag, den wir mit ihm eingehen. Finden ſich „nachher Zweifel, die dieſe Uebereinſtimmung „aufheben; ſo ſtehet es ja bey ihm, ſeinem „Gewiſſen treu zu ſeyn, und das Amt nieder- „zu legen. Welche Gewiſſensfreyheit, welche „Rechte der Menſchheit erlauben, wider einen „Vertrag zu handeln?“
Nun wohl! ich will dieſem Schein von Gerechtigkeit nicht alle die Gruͤnde entgegen ſetzen, die nach oben ausgefuͤhrten augenſchein- lichen Grundſaͤtzen, entgegen geſetzt werden koͤn- nen. Wozu unnoͤthige Wiederholungen? aber um der Menſchlichkeit willen! bedenket den Er- folg, den dieſe Einrichtung bisher unter den geſitteſten Menſchenkindern gehabt hat. Zaͤhlet die Maͤnner alle, die eure Lehrſtuͤhle und eure Kanzeln beſteigen, und ſo manchen Satz, den ſie bey der Uebernehmung ihres Amts beſchwo- ren, in Zweifel ziehen; die Biſchoͤffe alle, die
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„ſchwoͤren den Mitbuͤrger nur, den wir mit ei-
„nem Amte bekleiden, daß er dieſes Amt, wel-
„ches ihm, unter der Bedingung der Ueberein-
„ſtimmung anvertrauet wird, nicht ohne Ueber-
„einſtimmung annehme. Dieſes iſt ein Ver-
„trag, den wir mit ihm eingehen. Finden ſich
„nachher Zweifel, die dieſe Uebereinſtimmung
„aufheben; ſo ſtehet es ja bey ihm, ſeinem
„Gewiſſen treu zu ſeyn, und das Amt nieder-
„zu legen. Welche Gewiſſensfreyheit, welche
„Rechte der Menſchheit erlauben, wider einen
„Vertrag zu handeln?“
Nun wohl! ich will dieſem Schein von
Gerechtigkeit nicht alle die Gruͤnde entgegen
ſetzen, die nach oben ausgefuͤhrten augenſchein-
lichen Grundſaͤtzen, entgegen geſetzt werden koͤn-
nen. Wozu unnoͤthige Wiederholungen? aber
um der Menſchlichkeit willen! bedenket den Er-
folg, den dieſe Einrichtung bisher unter den
geſitteſten Menſchenkindern gehabt hat. Zaͤhlet
die Maͤnner alle, die eure Lehrſtuͤhle und eure
Kanzeln beſteigen, und ſo manchen Satz, den
ſie bey der Uebernehmung ihres Amts beſchwo-
ren, in Zweifel ziehen; die Biſchoͤffe alle, die
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/86>, abgerufen am 16.02.2025.
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