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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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den, nnd gleichwohl hat jedermann mehr oder
weniger davon gleichsam eingesogen, und seine
innern Säfte damit angesteckt. Aus dieser
Quelle flossen alle ungerechte Anmaßungen, die
sich sogenannte Diener der Religion, unter dem
Namen der Kirche, von je her erlaubt. Alle
Gewaltthätigkeit und Verfolgung, die sie aus-
geübt, aller Zwist und Zwiespalt, Meuterey
und Aufruhr, die sie angezettelt haben, und alle
Uebel, die von jeher unter dem Scheine der
Religion, von ihren grimmigsten Feinden, von
Heucheley und Menschenfeindschaft, ausgeübt
worden, sind einzig und allein Früchte dieser
armseligen Sophisterey; eines vorgespiegelten
Conflickts zwischen Gott und Menschen, Rech-
ten der Gottheit und Rechten des Menschen.

Im Grunde machen in dem System der
menschlichen Pflichten, die gegen Gott keine be-
sondere Abtheilung; sondern alle Pflichten des
Menschen sind Obliegenheiten gegen Gott. Ei-
nige derselben gehen uns selbst, andere unsere
Nebenmenschen an. Wir sollen, aus Liebe zu
Gott, uns selbst vernünftig lieben, seine Ge-
schöpfe lieben; so wie wir aus vernünftiger Liebe

zu

den, nnd gleichwohl hat jedermann mehr oder
weniger davon gleichſam eingeſogen, und ſeine
innern Saͤfte damit angeſteckt. Aus dieſer
Quelle floſſen alle ungerechte Anmaßungen, die
ſich ſogenannte Diener der Religion, unter dem
Namen der Kirche, von je her erlaubt. Alle
Gewaltthaͤtigkeit und Verfolgung, die ſie aus-
geuͤbt, aller Zwiſt und Zwieſpalt, Meuterey
und Aufruhr, die ſie angezettelt haben, und alle
Uebel, die von jeher unter dem Scheine der
Religion, von ihren grimmigſten Feinden, von
Heucheley und Menſchenfeindſchaft, ausgeuͤbt
worden, ſind einzig und allein Fruͤchte dieſer
armſeligen Sophiſterey; eines vorgeſpiegelten
Conflickts zwiſchen Gott und Menſchen, Rech-
ten der Gottheit und Rechten des Menſchen.

Im Grunde machen in dem Syſtem der
menſchlichen Pflichten, die gegen Gott keine be-
ſondere Abtheilung; ſondern alle Pflichten des
Menſchen ſind Obliegenheiten gegen Gott. Ei-
nige derſelben gehen uns ſelbſt, andere unſere
Nebenmenſchen an. Wir ſollen, aus Liebe zu
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[59/0065] den, nnd gleichwohl hat jedermann mehr oder weniger davon gleichſam eingeſogen, und ſeine innern Saͤfte damit angeſteckt. Aus dieſer Quelle floſſen alle ungerechte Anmaßungen, die ſich ſogenannte Diener der Religion, unter dem Namen der Kirche, von je her erlaubt. Alle Gewaltthaͤtigkeit und Verfolgung, die ſie aus- geuͤbt, aller Zwiſt und Zwieſpalt, Meuterey und Aufruhr, die ſie angezettelt haben, und alle Uebel, die von jeher unter dem Scheine der Religion, von ihren grimmigſten Feinden, von Heucheley und Menſchenfeindſchaft, ausgeuͤbt worden, ſind einzig und allein Fruͤchte dieſer armſeligen Sophiſterey; eines vorgeſpiegelten Conflickts zwiſchen Gott und Menſchen, Rech- ten der Gottheit und Rechten des Menſchen. Im Grunde machen in dem Syſtem der menſchlichen Pflichten, die gegen Gott keine be- ſondere Abtheilung; ſondern alle Pflichten des Menſchen ſind Obliegenheiten gegen Gott. Ei- nige derſelben gehen uns ſelbſt, andere unſere Nebenmenſchen an. Wir ſollen, aus Liebe zu Gott, uns ſelbſt vernuͤnftig lieben, ſeine Ge- ſchoͤpfe lieben; ſo wie wir aus vernuͤnftiger Liebe zu

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/65>, abgerufen am 18.05.2024.