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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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kommene Recht des Cajus ist in ein unvoll-
kommenes übergegangen; so wie das un-
vollkommene Recht des Sempronius in
ein vollkommenes Zwangsrecht verwan-
delt worden ist.

Cajus muß sein rechtkräftiges Verspre-
chen halten, und Sempronius kann ihn,
im Verweigerungsfalle, mit Gewalt dazu
zwingen.

Durch Verabredungen dieser Art verläßt
der Mensch den Stand der Natur und tritt in
den Stand der gesellschaftlichen Verbindung;
und seine eigene Natur treibet ihn an, Verbin-
dungen mancherley Art einzugehen, um seine
schwankenden Rechte und Pflichten in etwas
Bestimmtes zu verwandeln. Nur der Wilde
klebt, wie das Vieh, an dem Genusse des
gegenwärtigen Augenblickes. Der gesittete
Mensch lebt auch für die Zukunft, und will
auch für den nächsten Augenblick worauf Rech-
nung machen können. Schon der Vermeh-
rungstrieb, wenn er nicht blos viehischer In-
stinkt seyn soll, zwinget die Menschen, wie wir
oben gesehen, zu einem gesellschaftlichen Ver-

trage,
D 4

kommene Recht des Cajus iſt in ein unvoll-
kommenes uͤbergegangen; ſo wie das un-
vollkommene Recht des Sempronius in
ein vollkommenes Zwangsrecht verwan-
delt worden iſt.

Cajus muß ſein rechtkraͤftiges Verſpre-
chen halten, und Sempronius kann ihn,
im Verweigerungsfalle, mit Gewalt dazu
zwingen.

Durch Verabredungen dieſer Art verlaͤßt
der Menſch den Stand der Natur und tritt in
den Stand der geſellſchaftlichen Verbindung;
und ſeine eigene Natur treibet ihn an, Verbin-
dungen mancherley Art einzugehen, um ſeine
ſchwankenden Rechte und Pflichten in etwas
Beſtimmtes zu verwandeln. Nur der Wilde
klebt, wie das Vieh, an dem Genuſſe des
gegenwaͤrtigen Augenblickes. Der geſittete
Menſch lebt auch fuͤr die Zukunft, und will
auch fuͤr den naͤchſten Augenblick worauf Rech-
nung machen koͤnnen. Schon der Vermeh-
rungstrieb, wenn er nicht blos viehiſcher In-
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[55/0061] kommene Recht des Cajus iſt in ein unvoll- kommenes uͤbergegangen; ſo wie das un- vollkommene Recht des Sempronius in ein vollkommenes Zwangsrecht verwan- delt worden iſt. Cajus muß ſein rechtkraͤftiges Verſpre- chen halten, und Sempronius kann ihn, im Verweigerungsfalle, mit Gewalt dazu zwingen. Durch Verabredungen dieſer Art verlaͤßt der Menſch den Stand der Natur und tritt in den Stand der geſellſchaftlichen Verbindung; und ſeine eigene Natur treibet ihn an, Verbin- dungen mancherley Art einzugehen, um ſeine ſchwankenden Rechte und Pflichten in etwas Beſtimmtes zu verwandeln. Nur der Wilde klebt, wie das Vieh, an dem Genuſſe des gegenwaͤrtigen Augenblickes. Der geſittete Menſch lebt auch fuͤr die Zukunft, und will auch fuͤr den naͤchſten Augenblick worauf Rech- nung machen koͤnnen. Schon der Vermeh- rungstrieb, wenn er nicht blos viehiſcher In- ſtinkt ſeyn ſoll, zwinget die Menſchen, wie wir oben geſehen, zu einem geſellſchaftlichen Ver- trage, D 4

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/61>, abgerufen am 28.11.2024.