Vermögen oder Gut nicht gegen alle meine Nebenmenschen, nicht zu allen Zeiten, auch nicht unter allen Umständen zum Besten an- wenden; und da ich schuldig bin von mei- nen Kräften den bestmöglichsten Gebrauch zu machen; so kömmt es auf die Auswahl und nähere Bestimmung an, wie viel von dem Meinigen ich zum Wohlwollen bestim- men soll? Gegen wen? zu welcher Zeit, und unter welchen Umständen?
Wer soll dieses entscheiden? wer die Col- lisionsfälle schlichten? -- Nicht mein Näch- ster; denn ihm sind nicht alle Gründe gege- ben, aus welchen der Streit der Pflichten entschieden werden muß. Zu dem würde jeder andere eben das Recht haben, und wenn von meinen Nebenmenschen jeder zu seinem Vortheil entscheiden sollte, wie wahr- scheinlicher Weise geschehen dürfte, so wäre die Verlegenheit nicht gehoben.
Mir, und mir allein, kömmt also im Stande der Natur das Entscheidungsrecht zu, ob und wieviel, wenn, wem, und un- ter welchen Bedingungen ich zum Wohlthun verhunden bin? und ich kann im Stande der
Natur
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Vermoͤgen oder Gut nicht gegen alle meine Nebenmenſchen, nicht zu allen Zeiten, auch nicht unter allen Umſtaͤnden zum Beſten an- wenden; und da ich ſchuldig bin von mei- nen Kraͤften den beſtmoͤglichſten Gebrauch zu machen; ſo koͤmmt es auf die Auswahl und naͤhere Beſtimmung an, wie viel von dem Meinigen ich zum Wohlwollen beſtim- men ſoll? Gegen wen? zu welcher Zeit, und unter welchen Umſtaͤnden?
Wer ſoll dieſes entſcheiden? wer die Col- liſionsfaͤlle ſchlichten? — Nicht mein Naͤch- ſter; denn ihm ſind nicht alle Gruͤnde gege- ben, aus welchen der Streit der Pflichten entſchieden werden muß. Zu dem wuͤrde jeder andere eben das Recht haben, und wenn von meinen Nebenmenſchen jeder zu ſeinem Vortheil entſcheiden ſollte, wie wahr- ſcheinlicher Weiſe geſchehen duͤrfte, ſo waͤre die Verlegenheit nicht gehoben.
Mir, und mir allein, koͤmmt alſo im Stande der Natur das Entſcheidungsrecht zu, ob und wieviel, wenn, wem, und un- ter welchen Bedingungen ich zum Wohlthun verhunden bin? und ich kann im Stande der
Natur
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Vermoͤgen oder Gut nicht gegen alle meine
Nebenmenſchen, nicht zu allen Zeiten, auch
nicht unter allen Umſtaͤnden zum Beſten an-
wenden; und da ich ſchuldig bin von mei-
nen Kraͤften den beſtmoͤglichſten Gebrauch
zu machen; ſo koͤmmt es auf die Auswahl
und naͤhere Beſtimmung an, wie viel von
dem Meinigen ich zum Wohlwollen beſtim-
men ſoll? Gegen wen? zu welcher Zeit,
und unter welchen Umſtaͤnden?
Wer ſoll dieſes entſcheiden? wer die Col-
liſionsfaͤlle ſchlichten? — Nicht mein Naͤch-
ſter; denn ihm ſind nicht alle Gruͤnde gege-
ben, aus welchen der Streit der Pflichten
entſchieden werden muß. Zu dem wuͤrde
jeder andere eben das Recht haben, und
wenn von meinen Nebenmenſchen jeder zu
ſeinem Vortheil entſcheiden ſollte, wie wahr-
ſcheinlicher Weiſe geſchehen duͤrfte, ſo waͤre
die Verlegenheit nicht gehoben.
Mir, und mir allein, koͤmmt alſo im
Stande der Natur das Entſcheidungsrecht
zu, ob und wieviel, wenn, wem, und un-
ter welchen Bedingungen ich zum Wohlthun
verhunden bin? und ich kann im Stande der
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/41>, abgerufen am 16.02.2025.
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