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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Was nach den Gesetzen der Weisheit und
der Güte geschehn muß, oder dessen Gegen-
theil den Gesetzen der Weisheit oder der
Güte widersprechen würde: heißt sittlich
nothwendig
. Die sittliche Nothwendigkeit
(Schuldigkeit) etwas zu thun, oder zu un-
terlassen, ist eine Pflicht.

Die Gesetze der Weisheit und Güte kön-
nen sich nicht einander widersprechen. Wenn
ich also ein Recht habe etwas zu thun; so
kann mein Nebenmensch kein Recht haben,
mich daran zu verhindern; sonst wäre eben
dieselbe Handlung zu einerley Zeit sittlich
möglich und sittlich unmöglich. Einem jeden
Rechte entspricht also eine Pflicht; dem
Rechte zu thun entspricht die Pflicht zu lei-
den; dem Rechte zu fordern, die Pflicht
zu leisten, u. s. w. *)

Weis-
*) Man macht den Einwurf: der Kriegsmann habe
in währendem Kriege die Befugniß, den Feind
umzubringen, ohne daß diesem die Pflicht ob-
liege, solches zu leiden.
Allein der Kriegsmann hat diese Befugniß nicht
als Mensch; sondern als Mitglied, oder Söldner
des

Was nach den Geſetzen der Weisheit und
der Guͤte geſchehn muß, oder deſſen Gegen-
theil den Geſetzen der Weisheit oder der
Guͤte widerſprechen wuͤrde: heißt ſittlich
nothwendig
. Die ſittliche Nothwendigkeit
(Schuldigkeit) etwas zu thun, oder zu un-
terlaſſen, iſt eine Pflicht.

Die Geſetze der Weisheit und Guͤte koͤn-
nen ſich nicht einander widerſprechen. Wenn
ich alſo ein Recht habe etwas zu thun; ſo
kann mein Nebenmenſch kein Recht haben,
mich daran zu verhindern; ſonſt waͤre eben
dieſelbe Handlung zu einerley Zeit ſittlich
moͤglich und ſittlich unmoͤglich. Einem jeden
Rechte entſpricht alſo eine Pflicht; dem
Rechte zu thun entſpricht die Pflicht zu lei-
den; dem Rechte zu fordern, die Pflicht
zu leiſten, u. ſ. w. *)

Weis-
*) Man macht den Einwurf: der Kriegsmann habe
in waͤhrendem Kriege die Befugniß, den Feind
umzubringen, ohne daß dieſem die Pflicht ob-
liege, ſolches zu leiden.
Allein der Kriegsmann hat dieſe Befugniß nicht
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[30/0036] Was nach den Geſetzen der Weisheit und der Guͤte geſchehn muß, oder deſſen Gegen- theil den Geſetzen der Weisheit oder der Guͤte widerſprechen wuͤrde: heißt ſittlich nothwendig. Die ſittliche Nothwendigkeit (Schuldigkeit) etwas zu thun, oder zu un- terlaſſen, iſt eine Pflicht. Die Geſetze der Weisheit und Guͤte koͤn- nen ſich nicht einander widerſprechen. Wenn ich alſo ein Recht habe etwas zu thun; ſo kann mein Nebenmenſch kein Recht haben, mich daran zu verhindern; ſonſt waͤre eben dieſelbe Handlung zu einerley Zeit ſittlich moͤglich und ſittlich unmoͤglich. Einem jeden Rechte entſpricht alſo eine Pflicht; dem Rechte zu thun entſpricht die Pflicht zu lei- den; dem Rechte zu fordern, die Pflicht zu leiſten, u. ſ. w. *) Weis- *) Man macht den Einwurf: der Kriegsmann habe in waͤhrendem Kriege die Befugniß, den Feind umzubringen, ohne daß dieſem die Pflicht ob- liege, ſolches zu leiden. Allein der Kriegsmann hat dieſe Befugniß nicht als Menſch; ſondern als Mitglied, oder Soͤldner des

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/36>, abgerufen am 24.11.2024.