Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

keit entgegen setzet. Und diese Verwirrung der
Begriffe bleibt nicht ohne praktische Folgen. Sie
verrückt den Wirkungskreis der menschlichen Fä-
higkeiten, und spannet seine Kräfte über das
Ziel hinaus, das ihm von der Vorsehung mit so
vieler Weisheit gesetzt worden. "Auf dem
"dunkeln Pfade, man erlaube, daß ich meine
"eigenen Worte *) hier anführe, auf dem dun-
"keln Pfade, den der Mensch hier zu wandeln
"hat, ist ihm gerade so viel Licht beschieden,
"als zu den nächsten Schritten, die er zu
"thun hat, nöthig ist. Ein mehreres würde
"ihn nur blenden, und jedes Seitenlicht nur
"verwirren." Es ist nöthig, daß der Mensch
unaufhörlich erinnert werde, mit diesem Leben
sey nicht alles aus für ihn; es stehe ihm eine
endlose Zukunft bevor, zu welcher sein Leben hie-
nieden eine Vorbereitung sey, so wie in der gan-
zen Schöpfung jedes Gegenwärtige eine Vorbe-
reitung aufs Künftige ist. Dieses Leben, sagen
die Rabbinen, ist ein Vorgemach, in welchem
man sich so anschicken muß, wie man im innern

Zim-
*) S. Anmerk. zu Abbts freundschaftlicher Cor-
respondenz. S. 28.

keit entgegen ſetzet. Und dieſe Verwirrung der
Begriffe bleibt nicht ohne praktiſche Folgen. Sie
verruͤckt den Wirkungskreis der menſchlichen Faͤ-
higkeiten, und ſpannet ſeine Kraͤfte uͤber das
Ziel hinaus, das ihm von der Vorſehung mit ſo
vieler Weisheit geſetzt worden. „Auf dem
„dunkeln Pfade, man erlaube, daß ich meine
„eigenen Worte *) hier anfuͤhre, auf dem dun-
„keln Pfade, den der Menſch hier zu wandeln
„hat, iſt ihm gerade ſo viel Licht beſchieden,
„als zu den naͤchſten Schritten, die er zu
„thun hat, noͤthig iſt. Ein mehreres wuͤrde
„ihn nur blenden, und jedes Seitenlicht nur
„verwirren.„ Es iſt noͤthig, daß der Menſch
unaufhoͤrlich erinnert werde, mit dieſem Leben
ſey nicht alles aus fuͤr ihn; es ſtehe ihm eine
endloſe Zukunft bevor, zu welcher ſein Leben hie-
nieden eine Vorbereitung ſey, ſo wie in der gan-
zen Schoͤpfung jedes Gegenwaͤrtige eine Vorbe-
reitung aufs Kuͤnftige iſt. Dieſes Leben, ſagen
die Rabbinen, iſt ein Vorgemach, in welchem
man ſich ſo anſchicken muß, wie man im innern

Zim-
*) S. Anmerk. zu Abbts freundſchaftlicher Cor-
reſpondenz. S. 28.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0022" n="16"/>
keit entgegen &#x017F;etzet. Und die&#x017F;e Verwirrung der<lb/>
Begriffe bleibt nicht ohne prakti&#x017F;che Folgen. Sie<lb/>
verru&#x0364;ckt den Wirkungskreis der men&#x017F;chlichen Fa&#x0364;-<lb/>
higkeiten, und &#x017F;pannet &#x017F;eine Kra&#x0364;fte u&#x0364;ber das<lb/>
Ziel hinaus, das ihm von der Vor&#x017F;ehung mit &#x017F;o<lb/>
vieler Weisheit ge&#x017F;etzt worden. &#x201E;Auf dem<lb/>
&#x201E;dunkeln Pfade, man erlaube, daß ich meine<lb/>
&#x201E;eigenen Worte <note place="foot" n="*)">S. Anmerk. zu Abbts <choice><sic>freund&#x017F;chaftlichen</sic><corr>freund&#x017F;chaftlicher</corr></choice> Cor-<lb/>
re&#x017F;pondenz. S. 28.</note> hier anfu&#x0364;hre, auf dem dun-<lb/>
&#x201E;keln Pfade, den der Men&#x017F;ch hier zu wandeln<lb/>
&#x201E;hat, i&#x017F;t ihm gerade &#x017F;o viel Licht be&#x017F;chieden,<lb/>
&#x201E;als zu den na&#x0364;ch&#x017F;ten Schritten, die er zu<lb/>
&#x201E;thun hat, no&#x0364;thig i&#x017F;t. Ein mehreres wu&#x0364;rde<lb/>
&#x201E;ihn nur blenden, und jedes Seitenlicht nur<lb/>
&#x201E;verwirren.&#x201E; Es i&#x017F;t no&#x0364;thig, daß der Men&#x017F;ch<lb/>
unaufho&#x0364;rlich erinnert werde, mit die&#x017F;em Leben<lb/>
&#x017F;ey nicht alles aus fu&#x0364;r ihn; es &#x017F;tehe ihm eine<lb/>
endlo&#x017F;e Zukunft bevor, zu welcher &#x017F;ein Leben hie-<lb/>
nieden eine Vorbereitung &#x017F;ey, &#x017F;o wie in der gan-<lb/>
zen Scho&#x0364;pfung jedes Gegenwa&#x0364;rtige eine Vorbe-<lb/>
reitung aufs Ku&#x0364;nftige i&#x017F;t. Die&#x017F;es Leben, &#x017F;agen<lb/>
die Rabbinen, i&#x017F;t ein Vorgemach, in welchem<lb/>
man &#x017F;ich &#x017F;o an&#x017F;chicken muß, wie man im innern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zim-</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0022] keit entgegen ſetzet. Und dieſe Verwirrung der Begriffe bleibt nicht ohne praktiſche Folgen. Sie verruͤckt den Wirkungskreis der menſchlichen Faͤ- higkeiten, und ſpannet ſeine Kraͤfte uͤber das Ziel hinaus, das ihm von der Vorſehung mit ſo vieler Weisheit geſetzt worden. „Auf dem „dunkeln Pfade, man erlaube, daß ich meine „eigenen Worte *) hier anfuͤhre, auf dem dun- „keln Pfade, den der Menſch hier zu wandeln „hat, iſt ihm gerade ſo viel Licht beſchieden, „als zu den naͤchſten Schritten, die er zu „thun hat, noͤthig iſt. Ein mehreres wuͤrde „ihn nur blenden, und jedes Seitenlicht nur „verwirren.„ Es iſt noͤthig, daß der Menſch unaufhoͤrlich erinnert werde, mit dieſem Leben ſey nicht alles aus fuͤr ihn; es ſtehe ihm eine endloſe Zukunft bevor, zu welcher ſein Leben hie- nieden eine Vorbereitung ſey, ſo wie in der gan- zen Schoͤpfung jedes Gegenwaͤrtige eine Vorbe- reitung aufs Kuͤnftige iſt. Dieſes Leben, ſagen die Rabbinen, iſt ein Vorgemach, in welchem man ſich ſo anſchicken muß, wie man im innern Zim- *) S. Anmerk. zu Abbts freundſchaftlicher Cor- reſpondenz. S. 28.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/22
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/22>, abgerufen am 27.11.2024.