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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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boten, über dieselbe mehr zu schreiben. Die
ungeschriebenen Gesetze aber, die mündliche Ue-
berlieferung, der lebendige Unterricht von Mensch
zu Mensch, von Mund ins Herz, sollte erklä-
ren, erweitern, einschränken, und näher bestim-
men, was in dem geschriebenen Gesetze, aus
weisen Absichten, und mit weiser Mäßigung un-
bestimmt geblieben ist. In allem, was der
Jüngling thun sahe, in allen öffentlichen sowohl
als Privatverhandlungen, an allen Thoren und
an allen Thürpfosten, wohin er die Augen, oder
die Ohren wendete, fand er Veranlassung zum
Forschen und Nachdenken, Veranlassung einem
ältern und weisern Manne auf allen seinen
Tritten zu folgen, seine kleinsten Handlungen
und Verrichtungen mit kindlicher Sorgfalt zu
beobachten, mit kindlicher Gelehrigkeit nachzuah-
men, nach dem Geiste und der Absicht dieser
Verrichtungen zu forschen, und den Unterricht
einzuholen, dessen sein Meister ihn fähig und
empfänglich hielt. So war Lehre und Leben,
Weisheit und Thätigkeit, Spekulation und Um-
gang auf das Innigste verbunden; oder so sollte
es vielmehr der ersten Einrichtung und Absicht

des
Zweiter Abschn. G

boten, uͤber dieſelbe mehr zu ſchreiben. Die
ungeſchriebenen Geſetze aber, die muͤndliche Ue-
berlieferung, der lebendige Unterricht von Menſch
zu Menſch, von Mund ins Herz, ſollte erklaͤ-
ren, erweitern, einſchraͤnken, und naͤher beſtim-
men, was in dem geſchriebenen Geſetze, aus
weiſen Abſichten, und mit weiſer Maͤßigung un-
beſtimmt geblieben iſt. In allem, was der
Juͤngling thun ſahe, in allen oͤffentlichen ſowohl
als Privatverhandlungen, an allen Thoren und
an allen Thuͤrpfoſten, wohin er die Augen, oder
die Ohren wendete, fand er Veranlaſſung zum
Forſchen und Nachdenken, Veranlaſſung einem
aͤltern und weiſern Manne auf allen ſeinen
Tritten zu folgen, ſeine kleinſten Handlungen
und Verrichtungen mit kindlicher Sorgfalt zu
beobachten, mit kindlicher Gelehrigkeit nachzuah-
men, nach dem Geiſte und der Abſicht dieſer
Verrichtungen zu forſchen, und den Unterricht
einzuholen, deſſen ſein Meiſter ihn faͤhig und
empfaͤnglich hielt. So war Lehre und Leben,
Weisheit und Thaͤtigkeit, Spekulation und Um-
gang auf das Innigſte verbunden; oder ſo ſollte
es vielmehr der erſten Einrichtung und Abſicht

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[97/0199] boten, uͤber dieſelbe mehr zu ſchreiben. Die ungeſchriebenen Geſetze aber, die muͤndliche Ue- berlieferung, der lebendige Unterricht von Menſch zu Menſch, von Mund ins Herz, ſollte erklaͤ- ren, erweitern, einſchraͤnken, und naͤher beſtim- men, was in dem geſchriebenen Geſetze, aus weiſen Abſichten, und mit weiſer Maͤßigung un- beſtimmt geblieben iſt. In allem, was der Juͤngling thun ſahe, in allen oͤffentlichen ſowohl als Privatverhandlungen, an allen Thoren und an allen Thuͤrpfoſten, wohin er die Augen, oder die Ohren wendete, fand er Veranlaſſung zum Forſchen und Nachdenken, Veranlaſſung einem aͤltern und weiſern Manne auf allen ſeinen Tritten zu folgen, ſeine kleinſten Handlungen und Verrichtungen mit kindlicher Sorgfalt zu beobachten, mit kindlicher Gelehrigkeit nachzuah- men, nach dem Geiſte und der Abſicht dieſer Verrichtungen zu forſchen, und den Unterricht einzuholen, deſſen ſein Meiſter ihn faͤhig und empfaͤnglich hielt. So war Lehre und Leben, Weisheit und Thaͤtigkeit, Spekulation und Um- gang auf das Innigſte verbunden; oder ſo ſollte es vielmehr der erſten Einrichtung und Abſicht des Zweiter Abſchn. G

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/199>, abgerufen am 22.11.2024.