unter Nationen gleichsam durch ihr blosses Da- seyn, unaufhörlich lehre, rufe, predige und zu erhalten suche. Sie lebten unter Barbaren und Götzendienern im äußersten Druck und das Elend hatte sie beynahe, gegen die Wahrheit so fühllos gemacht, als ihre Unterdrücker der Ue- bermuth. Gott befreiete sie aus diesem sklavi- schen Zustande, durch außerordentliche Wunder- thaten, ward der Erretter, Anführer, König, Gesetzgeber und Gesetzverweser dieser von ihm gebildeten Nation, und legte ihre ganze Ver- fassung so an, wie es die weisen Absichten sei- ner Vorsehung erforderten. Schwach und kurz- sichtig ist des Menschen Auge! Wer kann sagen, ich bin in das Heiligtum Gottes gekommen, ha- be seinen Plan ganz übersehen, weis seine Ab- sichten, Maß und Ziel und Gränze zu bestim- men? Aber erlaubt ist dem bescheidenen Forscher zu muthmassen, aus dem Erfolge zu schließen, wenn er nur beständig eingedenk ist, das er nichts als vermuthen kann.
Wir haben gesehen, was für Schwierigkeit es hat, die abgesonderten Begriffe der Religion unter den Menschen durch fortdauernde Zeichen
zu
unter Nationen gleichſam durch ihr bloſſes Da- ſeyn, unaufhoͤrlich lehre, rufe, predige und zu erhalten ſuche. Sie lebten unter Barbaren und Goͤtzendienern im aͤußerſten Druck und das Elend hatte ſie beynahe, gegen die Wahrheit ſo fuͤhllos gemacht, als ihre Unterdruͤcker der Ue- bermuth. Gott befreiete ſie aus dieſem ſklavi- ſchen Zuſtande, durch außerordentliche Wunder- thaten, ward der Erretter, Anfuͤhrer, Koͤnig, Geſetzgeber und Geſetzverweſer dieſer von ihm gebildeten Nation, und legte ihre ganze Ver- faſſung ſo an, wie es die weiſen Abſichten ſei- ner Vorſehung erforderten. Schwach und kurz- ſichtig iſt des Menſchen Auge! Wer kann ſagen, ich bin in das Heiligtum Gottes gekommen, ha- be ſeinen Plan ganz uͤberſehen, weis ſeine Ab- ſichten, Maß und Ziel und Graͤnze zu beſtim- men? Aber erlaubt iſt dem beſcheidenen Forſcher zu muthmaſſen, aus dem Erfolge zu ſchließen, wenn er nur beſtaͤndig eingedenk iſt, das er nichts als vermuthen kann.
Wir haben geſehen, was fuͤr Schwierigkeit es hat, die abgeſonderten Begriffe der Religion unter den Menſchen durch fortdauernde Zeichen
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unter Nationen gleichſam durch ihr bloſſes Da-
ſeyn, unaufhoͤrlich lehre, rufe, predige und zu
erhalten ſuche. Sie lebten unter Barbaren
und Goͤtzendienern im aͤußerſten Druck und das
Elend hatte ſie beynahe, gegen die Wahrheit ſo
fuͤhllos gemacht, als ihre Unterdruͤcker der Ue-
bermuth. Gott befreiete ſie aus dieſem ſklavi-
ſchen Zuſtande, durch außerordentliche Wunder-
thaten, ward der Erretter, Anfuͤhrer, Koͤnig,
Geſetzgeber und Geſetzverweſer dieſer von ihm
gebildeten Nation, und legte ihre ganze Ver-
faſſung ſo an, wie es die weiſen Abſichten ſei-
ner Vorſehung erforderten. Schwach und kurz-
ſichtig iſt des Menſchen Auge! Wer kann ſagen,
ich bin in das Heiligtum Gottes gekommen, ha-
be ſeinen Plan ganz uͤberſehen, weis ſeine Ab-
ſichten, Maß und Ziel und Graͤnze zu beſtim-
men? Aber erlaubt iſt dem beſcheidenen Forſcher
zu muthmaſſen, aus dem Erfolge zu ſchließen,
wenn er nur beſtaͤndig eingedenk iſt, das er
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Wir haben geſehen, was fuͤr Schwierigkeit
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/196>, abgerufen am 16.02.2025.
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