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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Im Grunde kömmt auch hier alles auf den
Unterschied zwischen Glauben und Wissen.
Religionslehren und Religionsgeboten, an. Al-
les menschliche Wissen läßt sich allerdings auf
wenige Fundamentalbegriffe einschränken, die
zum Grunde gelegt werden. Je weniger, desto
fester stehet das Gebäude. Aber Gesetze leiden
keine Abkürzung. In ihnen ist alles fundamen-
tal, und in so weit können wir mit Grunde sa-
gen: uns sind alle Worte der Schrift, alle Ge-
bote und Verbote Gottes fundamental. Wollt
ihr gleichwohl die Quintessenz daraus haben;
so höret, wie jener größere Lehrer der Nation,
Zillel der ältere der vor der Zerstörung des
zweyten Tempels lebte, sich dabey genommen.
Ein Heide sprach: Rabbi, lehret mich das ganze
Gesetz, indem ich auf einem Fuße stehe! Sa-
mai, an den er diese Zumuthung vorher ergehen
ließ, hatte ihn mit Verachtung abgewiesen; al-
lein der durch seine unüberwindliche Gelassen-
heit und Sanftmuth berühmte Zillel sprach:
Sohn! liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Dieses ist der Text des Gesetzes; alles übrige ist
Kommentar. Nun gehe hin und lerne!

Ich

Im Grunde koͤmmt auch hier alles auf den
Unterſchied zwiſchen Glauben und Wiſſen.
Religionslehren und Religionsgeboten, an. Al-
les menſchliche Wiſſen laͤßt ſich allerdings auf
wenige Fundamentalbegriffe einſchraͤnken, die
zum Grunde gelegt werden. Je weniger, deſto
feſter ſtehet das Gebaͤude. Aber Geſetze leiden
keine Abkuͤrzung. In ihnen iſt alles fundamen-
tal, und in ſo weit koͤnnen wir mit Grunde ſa-
gen: uns ſind alle Worte der Schrift, alle Ge-
bote und Verbote Gottes fundamental. Wollt
ihr gleichwohl die Quinteſſenz daraus haben;
ſo hoͤret, wie jener groͤßere Lehrer der Nation,
Zillel der aͤltere der vor der Zerſtoͤrung des
zweyten Tempels lebte, ſich dabey genommen.
Ein Heide ſprach: Rabbi, lehret mich das ganze
Geſetz, indem ich auf einem Fuße ſtehe! Sa-
mai, an den er dieſe Zumuthung vorher ergehen
ließ, hatte ihn mit Verachtung abgewieſen; al-
lein der durch ſeine unuͤberwindliche Gelaſſen-
heit und Sanftmuth beruͤhmte Zillel ſprach:
Sohn! liebe deinen Naͤchſten wie dich ſelbſt.
Dieſes iſt der Text des Geſetzes; alles uͤbrige iſt
Kommentar. Nun gehe hin und lerne!

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[58/0160] Im Grunde koͤmmt auch hier alles auf den Unterſchied zwiſchen Glauben und Wiſſen. Religionslehren und Religionsgeboten, an. Al- les menſchliche Wiſſen laͤßt ſich allerdings auf wenige Fundamentalbegriffe einſchraͤnken, die zum Grunde gelegt werden. Je weniger, deſto feſter ſtehet das Gebaͤude. Aber Geſetze leiden keine Abkuͤrzung. In ihnen iſt alles fundamen- tal, und in ſo weit koͤnnen wir mit Grunde ſa- gen: uns ſind alle Worte der Schrift, alle Ge- bote und Verbote Gottes fundamental. Wollt ihr gleichwohl die Quinteſſenz daraus haben; ſo hoͤret, wie jener groͤßere Lehrer der Nation, Zillel der aͤltere der vor der Zerſtoͤrung des zweyten Tempels lebte, ſich dabey genommen. Ein Heide ſprach: Rabbi, lehret mich das ganze Geſetz, indem ich auf einem Fuße ſtehe! Sa- mai, an den er dieſe Zumuthung vorher ergehen ließ, hatte ihn mit Verachtung abgewieſen; al- lein der durch ſeine unuͤberwindliche Gelaſſen- heit und Sanftmuth beruͤhmte Zillel ſprach: Sohn! liebe deinen Naͤchſten wie dich ſelbſt. Dieſes iſt der Text des Geſetzes; alles uͤbrige iſt Kommentar. Nun gehe hin und lerne! Ich

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/160>, abgerufen am 22.11.2024.