de, und sonst niemand (daselbst). Vernimm Israel! der ewige, unser Gott ist ein Einzi- ges, ewiges Wesen! (5 B. M. 6, 4.) Nirgend wird gesagt: glaube Israel, so wirst du ge- segnet seyn; Zweifle nicht, Israel! oder diese und jene Strafe wird dich verfolgen. Gebot und Verbot, Belohnung und Strafen sind nur für Handlungen, für Thun und Lassen, die in des Menschen Willkühr stehen, und durch Begriffe vom Guten und Bösen, also auch von Hofnung und Furcht gelenkt werden. Glau- be und Zweifel, Beyfall und Widerspruch hin- gegen, richten sich nicht nach unserem Begeh- rungsvermögen, nicht nach Wunsch und Ver- langen, nicht nach Fürchten und Hoffen; son- dern nach unserer Erkenntniß von Warheit und Unwahrheit.
Daher hat auch das alte Judentum keine symbolische Bücher, keine Glaubensartikel. Niemand durfte Symbola beschwöhren, nie- mand ward auf Glaubensartikel beeidiget; ja, wir haben von dem, was man Glaubenseide nennet, gar keinen Begriff, und müssen sie, nach dem Geiste des ächten Judentums, für
un-
D 4
de, und ſonſt niemand (daſelbſt). Vernimm Iſrael! der ewige, unſer Gott iſt ein Einzi- ges, ewiges Weſen! (5 B. M. 6, 4.) Nirgend wird geſagt: glaube Iſrael, ſo wirſt du ge- ſegnet ſeyn; Zweifle nicht, Iſrael! oder dieſe und jene Strafe wird dich verfolgen. Gebot und Verbot, Belohnung und Strafen ſind nur fuͤr Handlungen, fuͤr Thun und Laſſen, die in des Menſchen Willkuͤhr ſtehen, und durch Begriffe vom Guten und Boͤſen, alſo auch von Hofnung und Furcht gelenkt werden. Glau- be und Zweifel, Beyfall und Widerſpruch hin- gegen, richten ſich nicht nach unſerem Begeh- rungsvermoͤgen, nicht nach Wunſch und Ver- langen, nicht nach Fuͤrchten und Hoffen; ſon- dern nach unſerer Erkenntniß von Warheit und Unwahrheit.
Daher hat auch das alte Judentum keine ſymboliſche Buͤcher, keine Glaubensartikel. Niemand durfte Symbola beſchwoͤhren, nie- mand ward auf Glaubensartikel beeidiget; ja, wir haben von dem, was man Glaubenseide nennet, gar keinen Begriff, und muͤſſen ſie, nach dem Geiſte des aͤchten Judentums, fuͤr
un-
D 4
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0157"n="55"/><hirendition="#fr">de, und ſonſt niemand</hi> (daſelbſt). <hirendition="#fr">Vernimm<lb/>
Iſrael! der ewige, unſer Gott iſt ein Einzi-<lb/>
ges, ewiges Weſen</hi>! (5 B. M. 6, 4.) Nirgend<lb/>
wird geſagt: <hirendition="#fr">glaube Iſrael, ſo wirſt du ge-<lb/>ſegnet ſeyn; Zweifle nicht, Iſrael! oder<lb/>
dieſe und jene Strafe wird dich verfolgen</hi>.<lb/>
Gebot und Verbot, Belohnung und Strafen<lb/>ſind nur fuͤr Handlungen, fuͤr Thun und Laſſen,<lb/>
die in des Menſchen Willkuͤhr ſtehen, und<lb/>
durch Begriffe vom Guten und Boͤſen, alſo auch<lb/>
von Hofnung und Furcht gelenkt werden. Glau-<lb/>
be und Zweifel, Beyfall und Widerſpruch hin-<lb/>
gegen, richten ſich nicht nach unſerem Begeh-<lb/>
rungsvermoͤgen, nicht nach Wunſch und Ver-<lb/>
langen, nicht nach Fuͤrchten und Hoffen; ſon-<lb/>
dern nach unſerer Erkenntniß von Warheit und<lb/>
Unwahrheit.</p><lb/><p>Daher hat auch das alte Judentum keine<lb/>ſymboliſche Buͤcher, keine <hirendition="#fr">Glaubensartikel</hi>.<lb/>
Niemand durfte Symbola beſchwoͤhren, nie-<lb/>
mand ward auf Glaubensartikel beeidiget; ja,<lb/>
wir haben von dem, was man <hirendition="#fr">Glaubenseide</hi><lb/>
nennet, gar keinen Begriff, und muͤſſen ſie,<lb/>
nach dem Geiſte des aͤchten Judentums, fuͤr<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">un-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[55/0157]
de, und ſonſt niemand (daſelbſt). Vernimm
Iſrael! der ewige, unſer Gott iſt ein Einzi-
ges, ewiges Weſen! (5 B. M. 6, 4.) Nirgend
wird geſagt: glaube Iſrael, ſo wirſt du ge-
ſegnet ſeyn; Zweifle nicht, Iſrael! oder
dieſe und jene Strafe wird dich verfolgen.
Gebot und Verbot, Belohnung und Strafen
ſind nur fuͤr Handlungen, fuͤr Thun und Laſſen,
die in des Menſchen Willkuͤhr ſtehen, und
durch Begriffe vom Guten und Boͤſen, alſo auch
von Hofnung und Furcht gelenkt werden. Glau-
be und Zweifel, Beyfall und Widerſpruch hin-
gegen, richten ſich nicht nach unſerem Begeh-
rungsvermoͤgen, nicht nach Wunſch und Ver-
langen, nicht nach Fuͤrchten und Hoffen; ſon-
dern nach unſerer Erkenntniß von Warheit und
Unwahrheit.
Daher hat auch das alte Judentum keine
ſymboliſche Buͤcher, keine Glaubensartikel.
Niemand durfte Symbola beſchwoͤhren, nie-
mand ward auf Glaubensartikel beeidiget; ja,
wir haben von dem, was man Glaubenseide
nennet, gar keinen Begriff, und muͤſſen ſie,
nach dem Geiſte des aͤchten Judentums, fuͤr
un-
D 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/157>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.