führen? Sicherlich den gedankenlosen Thier- menschen nicht, den seine eigene Betrachtung noch nicht auf das Daseyn eines unsichtbaren Wesens geführt hat, das dieses Sichtbare regieret. Die- sem würde die Wunderstimme keine Begriffe ein- gegeben, also nicht überzeugt haben. Den So- phisten noch weniger, dem so viele Zweifel und Grübeleyen vor dem Gehöre sausen, daß er die Stimme des gesunden Menschenverstandes nicht mehr wahrnimmt. Dieser fordert Vernunft- gründe, keine Wunderdinge. Und wenn der Religionslehrer alle Todten aus dem Staube erweckt, die jemals auf demselben gestanden ha- ben, um eine ewige Wahrheit dadurch zube- stätigen; der Zweifler spricht: der Lehrer hat viele Todten erweckt, aber von der ewigen Wahrheit weiß ich nicht mehr als vorhin. Ich weiß nunmehr, daß jemand ausserordentliche Dinge thun, und hören lassen kann, aber der- gleichen Wesen kann es mehrere geben, die sich eben itzt zu offenbaren, nicht für gut finden, und wie weit ist alles dieses noch von der unendlich erhabenen Idee einer Einzigen, ewigen Gott- heit, die dieses ganze Weltall, nach ihrem un-
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Zweiter Abschn. D
fuͤhren? Sicherlich den gedankenloſen Thier- menſchen nicht, den ſeine eigene Betrachtung noch nicht auf das Daſeyn eines unſichtbaren Weſens gefuͤhrt hat, das dieſes Sichtbare regieret. Die- ſem wuͤrde die Wunderſtimme keine Begriffe ein- gegeben, alſo nicht uͤberzeugt haben. Den So- phiſten noch weniger, dem ſo viele Zweifel und Gruͤbeleyen vor dem Gehoͤre ſauſen, daß er die Stimme des geſunden Menſchenverſtandes nicht mehr wahrnimmt. Dieſer fordert Vernunft- gruͤnde, keine Wunderdinge. Und wenn der Religionslehrer alle Todten aus dem Staube erweckt, die jemals auf demſelben geſtanden ha- ben, um eine ewige Wahrheit dadurch zube- ſtaͤtigen; der Zweifler ſpricht: der Lehrer hat viele Todten erweckt, aber von der ewigen Wahrheit weiß ich nicht mehr als vorhin. Ich weiß nunmehr, daß jemand auſſerordentliche Dinge thun, und hoͤren laſſen kann, aber der- gleichen Weſen kann es mehrere geben, die ſich eben itzt zu offenbaren, nicht fuͤr gut finden, und wie weit iſt alles dieſes noch von der unendlich erhabenen Idee einer Einzigen, ewigen Gott- heit, die dieſes ganze Weltall, nach ihrem un-
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Zweiter Abſchn. D
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fuͤhren? Sicherlich den gedankenloſen Thier-
menſchen nicht, den ſeine eigene Betrachtung noch
nicht auf das Daſeyn eines unſichtbaren Weſens
gefuͤhrt hat, das dieſes Sichtbare regieret. Die-
ſem wuͤrde die Wunderſtimme keine Begriffe ein-
gegeben, alſo nicht uͤberzeugt haben. Den So-
phiſten noch weniger, dem ſo viele Zweifel und
Gruͤbeleyen vor dem Gehoͤre ſauſen, daß er die
Stimme des geſunden Menſchenverſtandes nicht
mehr wahrnimmt. Dieſer fordert Vernunft-
gruͤnde, keine Wunderdinge. Und wenn der
Religionslehrer alle Todten aus dem Staube
erweckt, die jemals auf demſelben geſtanden ha-
ben, um eine ewige Wahrheit dadurch zube-
ſtaͤtigen; der Zweifler ſpricht: der Lehrer hat
viele Todten erweckt, aber von der ewigen
Wahrheit weiß ich nicht mehr als vorhin. Ich
weiß nunmehr, daß jemand auſſerordentliche
Dinge thun, und hoͤren laſſen kann, aber der-
gleichen Weſen kann es mehrere geben, die ſich
eben itzt zu offenbaren, nicht fuͤr gut finden, und
wie weit iſt alles dieſes noch von der unendlich
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/151>, abgerufen am 16.07.2024.
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