Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

sie so und nicht anders wirklich geworden, weil
sie, unter allen möglichen ihrer Art, so und nicht
anders die besten sind. Mit andern Worten:
sowohl die nothwendigen als zufälligen Wahr-
heiten fließen aus einer gemeinschaftlichen Quelle,
aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem
Verstande, diese aus dem Willen Gottes.
Die Sätze der nothwendigen Wahrheiten sind
wahr, weil sie Gott so und nicht anders sich vor-
stellet
; der zufälligen, weil sie Gott so und
nicht anders gut gefunden, und seiner Weis-
heit gemäß betrachtet hat. Beyspiele der ersteren
Gattung sind die Sätze der reinen Mathematik
und der Vernunftkunst; Beyspiele der letzteren
die allgemeinen Sätze der Physik und Geisterleh-
re, die Gesetze der Natur, nach welchen dieses
Weltall, Körper und Geisterwelt regiert wird.
Die ersten sind auch der Allmacht unveränder-
lich, weil Gott selbst seinen unendlichen Ver-
stand nicht veränderlich machen kann; die letz-
tern hingegen sind dem Willen Gottes unter-
worfen, und nur in so weit unveränderlich, als
es seinem heiligen Willen gefällt, das heißt, in
so weit sie seinen Absichten entsprechen. Seine

All-
Zweiter Abschn. C

ſie ſo und nicht anders wirklich geworden, weil
ſie, unter allen moͤglichen ihrer Art, ſo und nicht
anders die beſten ſind. Mit andern Worten:
ſowohl die nothwendigen als zufaͤlligen Wahr-
heiten fließen aus einer gemeinſchaftlichen Quelle,
aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem
Verſtande, dieſe aus dem Willen Gottes.
Die Saͤtze der nothwendigen Wahrheiten ſind
wahr, weil ſie Gott ſo und nicht anders ſich vor-
ſtellet
; der zufaͤlligen, weil ſie Gott ſo und
nicht anders gut gefunden, und ſeiner Weis-
heit gemaͤß betrachtet hat. Beyſpiele der erſteren
Gattung ſind die Saͤtze der reinen Mathematik
und der Vernunftkunſt; Beyſpiele der letzteren
die allgemeinen Saͤtze der Phyſik und Geiſterleh-
re, die Geſetze der Natur, nach welchen dieſes
Weltall, Koͤrper und Geiſterwelt regiert wird.
Die erſten ſind auch der Allmacht unveraͤnder-
lich, weil Gott ſelbſt ſeinen unendlichen Ver-
ſtand nicht veraͤnderlich machen kann; die letz-
tern hingegen ſind dem Willen Gottes unter-
worfen, und nur in ſo weit unveraͤnderlich, als
es ſeinem heiligen Willen gefaͤllt, das heißt, in
ſo weit ſie ſeinen Abſichten entſprechen. Seine

All-
Zweiter Abſchn. C
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="33"/>
&#x017F;ie &#x017F;o und nicht anders wirklich geworden, weil<lb/>
&#x017F;ie, unter allen mo&#x0364;glichen ihrer Art, &#x017F;o und nicht<lb/>
anders die <hi rendition="#fr">be&#x017F;ten</hi> &#x017F;ind. Mit andern Worten:<lb/>
&#x017F;owohl die nothwendigen als zufa&#x0364;lligen Wahr-<lb/>
heiten fließen aus einer gemein&#x017F;chaftlichen Quelle,<lb/>
aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem<lb/><hi rendition="#fr">Ver&#x017F;tande</hi>, die&#x017F;e aus dem <hi rendition="#fr">Willen Gottes.</hi><lb/>
Die Sa&#x0364;tze der nothwendigen Wahrheiten &#x017F;ind<lb/>
wahr, weil &#x017F;ie Gott &#x017F;o und nicht anders <hi rendition="#fr">&#x017F;ich vor-<lb/>
&#x017F;tellet</hi>; der zufa&#x0364;lligen, weil &#x017F;ie Gott &#x017F;o und<lb/>
nicht anders gut gefunden, und &#x017F;einer Weis-<lb/>
heit gema&#x0364;ß betrachtet hat. Bey&#x017F;piele der er&#x017F;teren<lb/>
Gattung &#x017F;ind die Sa&#x0364;tze der reinen Mathematik<lb/>
und der Vernunftkun&#x017F;t; Bey&#x017F;piele der letzteren<lb/>
die allgemeinen Sa&#x0364;tze der Phy&#x017F;ik und Gei&#x017F;terleh-<lb/>
re, die Ge&#x017F;etze der Natur, nach welchen die&#x017F;es<lb/>
Weltall, Ko&#x0364;rper und Gei&#x017F;terwelt regiert wird.<lb/>
Die er&#x017F;ten &#x017F;ind auch der Allmacht unvera&#x0364;nder-<lb/>
lich, weil Gott &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;einen unendlichen Ver-<lb/>
&#x017F;tand nicht vera&#x0364;nderlich machen kann; die letz-<lb/>
tern hingegen &#x017F;ind dem Willen Gottes unter-<lb/>
worfen, und nur in &#x017F;o weit unvera&#x0364;nderlich, als<lb/>
es &#x017F;einem heiligen Willen gefa&#x0364;llt, das heißt, in<lb/>
&#x017F;o weit &#x017F;ie &#x017F;einen Ab&#x017F;ichten ent&#x017F;prechen. Seine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Zweiter Ab&#x017F;chn.</hi> C</fw><fw place="bottom" type="catch">All-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0135] ſie ſo und nicht anders wirklich geworden, weil ſie, unter allen moͤglichen ihrer Art, ſo und nicht anders die beſten ſind. Mit andern Worten: ſowohl die nothwendigen als zufaͤlligen Wahr- heiten fließen aus einer gemeinſchaftlichen Quelle, aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem Verſtande, dieſe aus dem Willen Gottes. Die Saͤtze der nothwendigen Wahrheiten ſind wahr, weil ſie Gott ſo und nicht anders ſich vor- ſtellet; der zufaͤlligen, weil ſie Gott ſo und nicht anders gut gefunden, und ſeiner Weis- heit gemaͤß betrachtet hat. Beyſpiele der erſteren Gattung ſind die Saͤtze der reinen Mathematik und der Vernunftkunſt; Beyſpiele der letzteren die allgemeinen Saͤtze der Phyſik und Geiſterleh- re, die Geſetze der Natur, nach welchen dieſes Weltall, Koͤrper und Geiſterwelt regiert wird. Die erſten ſind auch der Allmacht unveraͤnder- lich, weil Gott ſelbſt ſeinen unendlichen Ver- ſtand nicht veraͤnderlich machen kann; die letz- tern hingegen ſind dem Willen Gottes unter- worfen, und nur in ſo weit unveraͤnderlich, als es ſeinem heiligen Willen gefaͤllt, das heißt, in ſo weit ſie ſeinen Abſichten entſprechen. Seine All- Zweiter Abſchn. C

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/135
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/135>, abgerufen am 24.11.2024.