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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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dargethan und bewährt werden können.
Nur darin täuscht ihn ein unrichtiger Begriff
vom Judentum, wenn er glaubt, ich könne dieses
nicht behaupten, ohne von der Religion meiner
Väter abzuweichen. Ich halte dieses vielmehr
für einen wesentlichen Punkt der jüdischen Reli-
gion, und glaube, daß diese Lehre einen charakte-
ristischen Unterschied zwischen ihr und der christ-
lichen Religion ausmache. Um es mit einem
Worte zu sagen: ich glaube, das Judentum
wisse von keiner geoffenbarten Religion, in dem
Verstande, in welchem dieses von den Christen
genommen wird. Die Israeliten haben göttliche
Gesetzgebung. Gesetze, Gebote, Befehle, Le-
bensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie
sie sich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und
ewigen Glückseligkeit zu gelangen; dergleichen
Sätze und Vorschriften sind ihnen durch Mosen
auf eine wunderbare und übernatürliche Weise
geoffenbaret worden; aber keine Lehrmeinungen
keine Heilswahrheiten, keine allgemeine Ver-
nunftsätze. Diese offenbaret der Ewige uns, wie
allen übrigen Menschen, allezeit durch Natur
und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen.

Ich

dargethan und bewaͤhrt werden koͤnnen.
Nur darin taͤuſcht ihn ein unrichtiger Begriff
vom Judentum, wenn er glaubt, ich koͤnne dieſes
nicht behaupten, ohne von der Religion meiner
Vaͤter abzuweichen. Ich halte dieſes vielmehr
fuͤr einen weſentlichen Punkt der juͤdiſchen Reli-
gion, und glaube, daß dieſe Lehre einen charakte-
riſtiſchen Unterſchied zwiſchen ihr und der chriſt-
lichen Religion ausmache. Um es mit einem
Worte zu ſagen: ich glaube, das Judentum
wiſſe von keiner geoffenbarten Religion, in dem
Verſtande, in welchem dieſes von den Chriſten
genommen wird. Die Iſraeliten haben goͤttliche
Geſetzgebung. Geſetze, Gebote, Befehle, Le-
bensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie
ſie ſich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und
ewigen Gluͤckſeligkeit zu gelangen; dergleichen
Saͤtze und Vorſchriften ſind ihnen durch Moſen
auf eine wunderbare und uͤbernatuͤrliche Weiſe
geoffenbaret worden; aber keine Lehrmeinungen
keine Heilswahrheiten, keine allgemeine Ver-
nunftſaͤtze. Dieſe offenbaret der Ewige uns, wie
allen uͤbrigen Menſchen, allezeit durch Natur
und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen.

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[31/0133] dargethan und bewaͤhrt werden koͤnnen. Nur darin taͤuſcht ihn ein unrichtiger Begriff vom Judentum, wenn er glaubt, ich koͤnne dieſes nicht behaupten, ohne von der Religion meiner Vaͤter abzuweichen. Ich halte dieſes vielmehr fuͤr einen weſentlichen Punkt der juͤdiſchen Reli- gion, und glaube, daß dieſe Lehre einen charakte- riſtiſchen Unterſchied zwiſchen ihr und der chriſt- lichen Religion ausmache. Um es mit einem Worte zu ſagen: ich glaube, das Judentum wiſſe von keiner geoffenbarten Religion, in dem Verſtande, in welchem dieſes von den Chriſten genommen wird. Die Iſraeliten haben goͤttliche Geſetzgebung. Geſetze, Gebote, Befehle, Le- bensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie ſie ſich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und ewigen Gluͤckſeligkeit zu gelangen; dergleichen Saͤtze und Vorſchriften ſind ihnen durch Moſen auf eine wunderbare und uͤbernatuͤrliche Weiſe geoffenbaret worden; aber keine Lehrmeinungen keine Heilswahrheiten, keine allgemeine Ver- nunftſaͤtze. Dieſe offenbaret der Ewige uns, wie allen uͤbrigen Menſchen, allezeit durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen. Ich

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/133>, abgerufen am 18.05.2024.