Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Thomas Hobbes lebte zu einer Zeit, da der
Fanatismus, mit einem unordentlichen Gefühle
von Freyheit verbunden, keine Schranken mehr
kannte, und im Begriffe war, wie ihm auch am
Ende gelang, die königliche Gewalt unter den
Fuß zu bringen, und die ganze Landesverfassung
um zu stürzen. Der bürgerlichen Unruhen über-
drüßig, und von Natur zum stillen, spekulati-
ven Leben geneigt, setzte er die höchste Glücksee-
ligkeit in Ruhe und Sicherheit, sie mochte kom-
men, woher sie wollte; und diese fand er nir-
gend, als in der Einheit und Unzertrennlichkeit
der höchsten Gewalt im Staate. Der öffentli-
chen Wohlfarth, glaubte er also, sey am besten
gerathen, wenn alles, sogar unser Urtheil über
Recht und Unrecht, der höchsten Gewalt der bür-
gerlichen Obrigkeit unterworfen würde. Um
dieses desto füglicher thun zu können, setzte er
zum voraus, der Mensch habe von Natur die
Befugniß zu allem, wozu er von ihr das Ver-
mögen erhalten hat. Stand der Natur sey
Stand des allgemeinen Aufruhrs, des Krieges
aller wider alle,
in welchem jeder mag, was er
kann; alles Recht ist, wozu man Macht hat.
Dieser unglückselige Zustand habe so lange ge-

dauert,
A 4

Thomas Hobbes lebte zu einer Zeit, da der
Fanatismus, mit einem unordentlichen Gefuͤhle
von Freyheit verbunden, keine Schranken mehr
kannte, und im Begriffe war, wie ihm auch am
Ende gelang, die koͤnigliche Gewalt unter den
Fuß zu bringen, und die ganze Landesverfaſſung
um zu ſtuͤrzen. Der buͤrgerlichen Unruhen uͤber-
druͤßig, und von Natur zum ſtillen, ſpekulati-
ven Leben geneigt, ſetzte er die hoͤchſte Gluͤckſee-
ligkeit in Ruhe und Sicherheit, ſie mochte kom-
men, woher ſie wollte; und dieſe fand er nir-
gend, als in der Einheit und Unzertrennlichkeit
der hoͤchſten Gewalt im Staate. Der oͤffentli-
chen Wohlfarth, glaubte er alſo, ſey am beſten
gerathen, wenn alles, ſogar unſer Urtheil uͤber
Recht und Unrecht, der hoͤchſten Gewalt der buͤr-
gerlichen Obrigkeit unterworfen wuͤrde. Um
dieſes deſto fuͤglicher thun zu koͤnnen, ſetzte er
zum voraus, der Menſch habe von Natur die
Befugniß zu allem, wozu er von ihr das Ver-
moͤgen erhalten hat. Stand der Natur ſey
Stand des allgemeinen Aufruhrs, des Krieges
aller wider alle,
in welchem jeder mag, was er
kann; alles Recht iſt, wozu man Macht hat.
Dieſer ungluͤckſelige Zuſtand habe ſo lange ge-

dauert,
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0013" n="7"/>
      <p><hi rendition="#fr">Thomas Hobbes</hi> lebte zu einer Zeit, da der<lb/>
Fanatismus, mit einem unordentlichen Gefu&#x0364;hle<lb/>
von Freyheit verbunden, keine Schranken mehr<lb/>
kannte, und im Begriffe war, wie ihm auch am<lb/>
Ende gelang, die ko&#x0364;nigliche Gewalt unter den<lb/>
Fuß zu bringen, und die ganze Landesverfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
um zu &#x017F;tu&#x0364;rzen. Der bu&#x0364;rgerlichen Unruhen u&#x0364;ber-<lb/>
dru&#x0364;ßig, und von Natur zum &#x017F;tillen, &#x017F;pekulati-<lb/>
ven Leben geneigt, &#x017F;etzte er die ho&#x0364;ch&#x017F;te Glu&#x0364;ck&#x017F;ee-<lb/>
ligkeit in Ruhe und Sicherheit, &#x017F;ie mochte kom-<lb/>
men, woher &#x017F;ie wollte; und die&#x017F;e fand er nir-<lb/>
gend, als in der Einheit und Unzertrennlichkeit<lb/>
der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gewalt im Staate. Der o&#x0364;ffentli-<lb/>
chen Wohlfarth, glaubte er al&#x017F;o, &#x017F;ey am be&#x017F;ten<lb/>
gerathen, wenn alles, &#x017F;ogar un&#x017F;er Urtheil u&#x0364;ber<lb/>
Recht und Unrecht, der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gewalt der bu&#x0364;r-<lb/>
gerlichen Obrigkeit unterworfen wu&#x0364;rde<choice><sic>,</sic><corr>.</corr></choice> Um<lb/>
die&#x017F;es de&#x017F;to fu&#x0364;glicher thun zu ko&#x0364;nnen, &#x017F;etzte er<lb/>
zum voraus, der Men&#x017F;ch habe von Natur die<lb/><hi rendition="#fr">Befugniß</hi> zu allem, wozu er von ihr das Ver-<lb/>
mo&#x0364;gen erhalten hat. Stand der Natur &#x017F;ey<lb/>
Stand des allgemeinen Aufruhrs, des <hi rendition="#fr">Krieges<lb/>
aller wider alle,</hi> in welchem jeder mag, was er<lb/>
kann; alles Recht i&#x017F;t, wozu man Macht hat.<lb/>
Die&#x017F;er unglu&#x0364;ck&#x017F;elige Zu&#x017F;tand habe &#x017F;o lange ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">dauert,</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0013] Thomas Hobbes lebte zu einer Zeit, da der Fanatismus, mit einem unordentlichen Gefuͤhle von Freyheit verbunden, keine Schranken mehr kannte, und im Begriffe war, wie ihm auch am Ende gelang, die koͤnigliche Gewalt unter den Fuß zu bringen, und die ganze Landesverfaſſung um zu ſtuͤrzen. Der buͤrgerlichen Unruhen uͤber- druͤßig, und von Natur zum ſtillen, ſpekulati- ven Leben geneigt, ſetzte er die hoͤchſte Gluͤckſee- ligkeit in Ruhe und Sicherheit, ſie mochte kom- men, woher ſie wollte; und dieſe fand er nir- gend, als in der Einheit und Unzertrennlichkeit der hoͤchſten Gewalt im Staate. Der oͤffentli- chen Wohlfarth, glaubte er alſo, ſey am beſten gerathen, wenn alles, ſogar unſer Urtheil uͤber Recht und Unrecht, der hoͤchſten Gewalt der buͤr- gerlichen Obrigkeit unterworfen wuͤrde. Um dieſes deſto fuͤglicher thun zu koͤnnen, ſetzte er zum voraus, der Menſch habe von Natur die Befugniß zu allem, wozu er von ihr das Ver- moͤgen erhalten hat. Stand der Natur ſey Stand des allgemeinen Aufruhrs, des Krieges aller wider alle, in welchem jeder mag, was er kann; alles Recht iſt, wozu man Macht hat. Dieſer ungluͤckſelige Zuſtand habe ſo lange ge- dauert, A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/13
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/13>, abgerufen am 24.11.2024.