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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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"ligion darin setzen, daß nach den Worten un-
"sers Lehrers die wahrhaftigen Anbeter Gott im
"Geist und in der Wahrheit anbeten."

Feyerlich und pathetisch genug ist diese An-
sinnung vorgebracht. -- Allein, Lieber! soll ich
diesen Schritt thun, ohne vorher zu überlegen, ob
er mich auch wirklich aus der Verwirrung ziehen
wird, in welcher ich mich Ihrer Meinung nach
befinde? Wenn es wahr ist, daß die Ecksteine
meines Hauses austreten, und das Gebäude ein-
zustürzen drohet, ist es wohlgethan, wenn ich
meine Habseligkeit aus dem untersten Stokwer-
ke in das oberste rette? Bin ich da sicherer?
Nun ist das Christentum, wie sie wissen, auf
dem Judentume gebauet, und muß nothwendig,
wenn dieses fällt, mit ihm über einen Hauffen
stürzen. Sie sagen, meine Schlußfolge unter-
grabe den Grund des Judentums, und bieten mir
die Sicherheit Ihres obersten Stokwerks an;
muß ich nicht glauben, daß Sie meiner spotten?
Sicherlich! Der Christ, dem es um Licht und
Wahrheit im Ernste zu thun ist, wird beim An-
scheine eines Widerspruchs zwischen Wahrheit
und Wahrheit, zwischen Schrift und Vernunft,

nicht
B 5

„ligion darin ſetzen, daß nach den Worten un-
„ſers Lehrers die wahrhaftigen Anbeter Gott im
„Geiſt und in der Wahrheit anbeten.“

Feyerlich und pathetiſch genug iſt dieſe An-
ſinnung vorgebracht. — Allein, Lieber! ſoll ich
dieſen Schritt thun, ohne vorher zu uͤberlegen, ob
er mich auch wirklich aus der Verwirrung ziehen
wird, in welcher ich mich Ihrer Meinung nach
befinde? Wenn es wahr iſt, daß die Eckſteine
meines Hauſes austreten, und das Gebaͤude ein-
zuſtuͤrzen drohet, iſt es wohlgethan, wenn ich
meine Habſeligkeit aus dem unterſten Stokwer-
ke in das oberſte rette? Bin ich da ſicherer?
Nun iſt das Chriſtentum, wie ſie wiſſen, auf
dem Judentume gebauet, und muß nothwendig,
wenn dieſes faͤllt, mit ihm uͤber einen Hauffen
ſtuͤrzen. Sie ſagen, meine Schlußfolge unter-
grabe den Grund des Judentums, und bieten mir
die Sicherheit Ihres oberſten Stokwerks an;
muß ich nicht glauben, daß Sie meiner ſpotten?
Sicherlich! Der Chriſt, dem es um Licht und
Wahrheit im Ernſte zu thun iſt, wird beim An-
ſcheine eines Widerſpruchs zwiſchen Wahrheit
und Wahrheit, zwiſchen Schrift und Vernunft,

nicht
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[25/0127] „ligion darin ſetzen, daß nach den Worten un- „ſers Lehrers die wahrhaftigen Anbeter Gott im „Geiſt und in der Wahrheit anbeten.“ Feyerlich und pathetiſch genug iſt dieſe An- ſinnung vorgebracht. — Allein, Lieber! ſoll ich dieſen Schritt thun, ohne vorher zu uͤberlegen, ob er mich auch wirklich aus der Verwirrung ziehen wird, in welcher ich mich Ihrer Meinung nach befinde? Wenn es wahr iſt, daß die Eckſteine meines Hauſes austreten, und das Gebaͤude ein- zuſtuͤrzen drohet, iſt es wohlgethan, wenn ich meine Habſeligkeit aus dem unterſten Stokwer- ke in das oberſte rette? Bin ich da ſicherer? Nun iſt das Chriſtentum, wie ſie wiſſen, auf dem Judentume gebauet, und muß nothwendig, wenn dieſes faͤllt, mit ihm uͤber einen Hauffen ſtuͤrzen. Sie ſagen, meine Schlußfolge unter- grabe den Grund des Judentums, und bieten mir die Sicherheit Ihres oberſten Stokwerks an; muß ich nicht glauben, daß Sie meiner ſpotten? Sicherlich! Der Chriſt, dem es um Licht und Wahrheit im Ernſte zu thun iſt, wird beim An- ſcheine eines Widerſpruchs zwiſchen Wahrheit und Wahrheit, zwiſchen Schrift und Vernunft, nicht B 5

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/127>, abgerufen am 24.11.2024.