nale eine Anekdote von ihm, die mir höchst passend zum Endzweck gegenwärtiger Geschich- ten dünkt.
Prevot d'Exiles, in der leztern Halbscheid seines Lebens Benediktiner des Ordens von Clugny, speiste eines Abends mit einigen sei- ner vertrautesten Freunde, in einem Zirkel von lauter Männern, die Geist und Kenntnis besaßen. Eine geraume Zeit schon hatte sich das Gespräch mit litterarischen und politischen Neuigkeiten beschäftigt; unvermerkt kamen auch einige moralische Säzze an die Reihe, und einer von der Gesellschaft behauptete: Selbst der rechtschaffenste Mann könne nie sicher seyn, ob er nicht dereinst noch auf dem Schafot werde sterben müssen."
O, gehn Sie keck noch einen Schritt weiter! -- unterbrach ihn Prevot: -- das auf dem Schafot-Sterben bedroht freilich den Rei- chen wie den Bettler, den Sokrates wie den Cartouche. Doch selbst für das weit schlim- mere, für das Schafot verdienen kann kein Redlicher sich verbürgen!" -- Laut
nale eine Anekdote von ihm, die mir hoͤchſt paſſend zum Endzweck gegenwaͤrtiger Geſchich- ten duͤnkt.
Prevot d'Exiles, in der leztern Halbſcheid ſeines Lebens Benediktiner des Ordens von Clugny, ſpeiſte eines Abends mit einigen ſei- ner vertrauteſten Freunde, in einem Zirkel von lauter Maͤnnern, die Geiſt und Kenntnis beſaßen. Eine geraume Zeit ſchon hatte ſich das Geſpraͤch mit litterariſchen und politiſchen Neuigkeiten beſchaͤftigt; unvermerkt kamen auch einige moraliſche Saͤzze an die Reihe, und einer von der Geſellſchaft behauptete: Selbſt der rechtſchaffenſte Mann koͤnne nie ſicher ſeyn, ob er nicht dereinſt noch auf dem Schafot werde ſterben muͤſſen.“
O, gehn Sie keck noch einen Schritt weiter! — unterbrach ihn Prevot: -- das auf dem Schafot-Sterben bedroht freilich den Rei- chen wie den Bettler, den Sokrates wie den Cartouche. Doch ſelbſt fuͤr das weit ſchlim- mere, fuͤr das Schafot verdienen kann kein Redlicher ſich verbuͤrgen!“ — Laut
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nale eine Anekdote von ihm, die mir hoͤchſt
paſſend zum Endzweck gegenwaͤrtiger Geſchich-
ten duͤnkt.
Prevot d'Exiles, in der leztern Halbſcheid
ſeines Lebens Benediktiner des Ordens von
Clugny, ſpeiſte eines Abends mit einigen ſei-
ner vertrauteſten Freunde, in einem Zirkel
von lauter Maͤnnern, die Geiſt und Kenntnis
beſaßen. Eine geraume Zeit ſchon hatte ſich
das Geſpraͤch mit litterariſchen und politiſchen
Neuigkeiten beſchaͤftigt; unvermerkt kamen
auch einige moraliſche Saͤzze an die Reihe,
und einer von der Geſellſchaft behauptete:
Selbſt der rechtſchaffenſte Mann koͤnne nie
ſicher ſeyn, ob er nicht dereinſt noch auf dem
Schafot werde ſterben muͤſſen.“
O, gehn Sie keck noch einen Schritt weiter!
— unterbrach ihn Prevot: -- das auf dem
Schafot-Sterben bedroht freilich den Rei-
chen wie den Bettler, den Sokrates wie den
Cartouche. Doch ſelbſt fuͤr das weit ſchlim-
mere, fuͤr das Schafot verdienen
kann kein Redlicher ſich verbuͤrgen!“ — Laut
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/82>, abgerufen am 28.04.2024.
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