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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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ungezweifelt wahr: denn ich verdanke sie der
Erzälung eines Augenzeugen, der den Un-
glücklichen selbst zum Tode führen sah.*)

Jm Jahr 1755 lebten unter den Sieben bis
Achtmal hundert tausend Menschen, die Paris
bewohnen, auch ein junger Schlosserge-
selle und sein Mädchen. Er, ein fleißiger,
braver, geschickter, und, nach Landessitte,
recht herzlich in seine Schöne verliebter Bur-
sche; sie, eine feine ehrliche Dirne, die sich
durch Nähterei recht artig ihren Unterhalt er-
warb; die, troz dieses oft zweideutigen Gewer-
bes, und troz ihrer Unabhängigkeit als äl-
ternlose Waise, doch völlig bei unbescholtnem
Rufe blieb; von allen ihren Bekannten ge-
schäzt wurde, und ihren Joseph (so hieß je-
ner Bursche) von ganzer Seele lieb hatte.
Beide glaubten bereits dem Zeitpunkt ihrer
Verbindung nahe zu seyn; sahn sich alle Ta-

*) Des nun schon seit sieben Jahren gestorb-
nen Oberlandbaumeister Krubsacius in
Dresden.

ungezweifelt wahr: denn ich verdanke ſie der
Erzaͤlung eines Augenzeugen, der den Un-
gluͤcklichen ſelbſt zum Tode fuͤhren ſah.*)

Jm Jahr 1755 lebten unter den Sieben bis
Achtmal hundert tauſend Menſchen, die Paris
bewohnen, auch ein junger Schloſſerge-
ſelle und ſein Maͤdchen. Er, ein fleißiger,
braver, geſchickter, und, nach Landesſitte,
recht herzlich in ſeine Schoͤne verliebter Bur-
ſche; ſie, eine feine ehrliche Dirne, die ſich
durch Naͤhterei recht artig ihren Unterhalt er-
warb; die, troz dieſes oft zweideutigen Gewer-
bes, und troz ihrer Unabhaͤngigkeit als aͤl-
ternloſe Waiſe, doch voͤllig bei unbeſcholtnem
Rufe blieb; von allen ihren Bekannten ge-
ſchaͤzt wurde, und ihren Joſeph (ſo hieß je-
ner Burſche) von ganzer Seele lieb hatte.
Beide glaubten bereits dem Zeitpunkt ihrer
Verbindung nahe zu ſeyn; ſahn ſich alle Ta-

*) Des nun ſchon ſeit ſieben Jahren geſtorb-
nen Oberlandbaumeiſter Krubſacius in
Dresden.
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[54/0062] ungezweifelt wahr: denn ich verdanke ſie der Erzaͤlung eines Augenzeugen, der den Un- gluͤcklichen ſelbſt zum Tode fuͤhren ſah. *) Jm Jahr 1755 lebten unter den Sieben bis Achtmal hundert tauſend Menſchen, die Paris bewohnen, auch ein junger Schloſſerge- ſelle und ſein Maͤdchen. Er, ein fleißiger, braver, geſchickter, und, nach Landesſitte, recht herzlich in ſeine Schoͤne verliebter Bur- ſche; ſie, eine feine ehrliche Dirne, die ſich durch Naͤhterei recht artig ihren Unterhalt er- warb; die, troz dieſes oft zweideutigen Gewer- bes, und troz ihrer Unabhaͤngigkeit als aͤl- ternloſe Waiſe, doch voͤllig bei unbeſcholtnem Rufe blieb; von allen ihren Bekannten ge- ſchaͤzt wurde, und ihren Joſeph (ſo hieß je- ner Burſche) von ganzer Seele lieb hatte. Beide glaubten bereits dem Zeitpunkt ihrer Verbindung nahe zu ſeyn; ſahn ſich alle Ta- *) Des nun ſchon ſeit ſieben Jahren geſtorb- nen Oberlandbaumeiſter Krubſacius in Dresden.

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/62>, abgerufen am 27.04.2024.