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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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dete ihr, daß er Abschied zu nehmen komme.
-- "Nur noch einen Tag also" rief sie, und
schlang ihren Arm um ihn. Sie wartete nicht,
bis er sie küssen würde; sie kam ihm so brün-
stig zuvor, daß der Unglückliche wirklich auf
zwei Augenblicke vergaß, in wessen Armen er
sich befände.

Aber bald ermannt' er sich. -- "Weg mit
deinen Küssen! Kennst du diese Hand?" so
rief er, indem er sich loswand, und den fa-
talen Brief ihr darbot; sie erkannte densel-
ben, bebte, wollte reden, stammelte, schwieg.
--"Nun so nimm dann diesenEinspruch
"hin, eh ich noch fort nach Ostindien reise."
-- Ein scharfes Messer durchstieß ihr rasch
Brust und Herz. -- "Jch hab' es verdient!"
stöhnte sie mühsam, sank und starb.

Der Jüngling eilte unbemerkt hinweg und
zum Richter. -- "Gestrenger Herr, (war
seine Anrede) "wenn ein Räuber mir mein
"ganzes Vermögen raubt; wenn ich ihn da-
"bei finde und tödte; bin ich des Todes

dete ihr, daß er Abſchied zu nehmen komme.
— „Nur noch einen Tag alſo“ rief ſie, und
ſchlang ihren Arm um ihn. Sie wartete nicht,
bis er ſie kuͤſſen wuͤrde; ſie kam ihm ſo bruͤn-
ſtig zuvor, daß der Ungluͤckliche wirklich auf
zwei Augenblicke vergaß, in weſſen Armen er
ſich befaͤnde.

Aber bald ermannt' er ſich. — „Weg mit
deinen Kuͤſſen! Kennſt du dieſe Hand?“ ſo
rief er, indem er ſich loswand, und den fa-
talen Brief ihr darbot; ſie erkannte denſel-
ben, bebte, wollte reden, ſtammelte, ſchwieg.
—„Nun ſo nimm dann dieſenEinſpruch
„hin, eh ich noch fort nach Oſtindien reiſe.“
— Ein ſcharfes Meſſer durchſtieß ihr raſch
Bruſt und Herz. — „Jch hab' es verdient!“
ſtoͤhnte ſie muͤhſam, ſank und ſtarb.

Der Juͤngling eilte unbemerkt hinweg und
zum Richter. — „Geſtrenger Herr, (war
ſeine Anrede) „wenn ein Raͤuber mir mein
„ganzes Vermoͤgen raubt; wenn ich ihn da-
„bei finde und toͤdte; bin ich des Todes

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[31/0039] dete ihr, daß er Abſchied zu nehmen komme. — „Nur noch einen Tag alſo“ rief ſie, und ſchlang ihren Arm um ihn. Sie wartete nicht, bis er ſie kuͤſſen wuͤrde; ſie kam ihm ſo bruͤn- ſtig zuvor, daß der Ungluͤckliche wirklich auf zwei Augenblicke vergaß, in weſſen Armen er ſich befaͤnde. Aber bald ermannt' er ſich. — „Weg mit deinen Kuͤſſen! Kennſt du dieſe Hand?“ ſo rief er, indem er ſich loswand, und den fa- talen Brief ihr darbot; ſie erkannte denſel- ben, bebte, wollte reden, ſtammelte, ſchwieg. —„Nun ſo nimm dann dieſenEinſpruch „hin, eh ich noch fort nach Oſtindien reiſe.“ — Ein ſcharfes Meſſer durchſtieß ihr raſch Bruſt und Herz. — „Jch hab' es verdient!“ ſtoͤhnte ſie muͤhſam, ſank und ſtarb. Der Juͤngling eilte unbemerkt hinweg und zum Richter. — „Geſtrenger Herr, (war ſeine Anrede) „wenn ein Raͤuber mir mein „ganzes Vermoͤgen raubt; wenn ich ihn da- „bei finde und toͤdte; bin ich des Todes

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/39>, abgerufen am 03.12.2024.