Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

funden, daß er einem Unglücklichen dasjenige
Geheimnis, das er schon zweimal, selbst aus
der Marterkammer, unverrathen zurückbrachte,
durch anscheinende Güte dennoch zu entwin-
den wußte. -- Zwar, da jede Sache in der
Welt ihre zwiefache Seite hat, so wüßt' ich,
wenn Falk jezt aufträte und fragte: "Was
"hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan,
"als die Gerechtigkeit unterstüzt? Was hab'
"ich anders bezweckt, als -- die Wahrheit
"ans Licht zu bringen? War R. etwa kein
"Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach
"unsern Gesezzen, das Leben längst verwürkt
"hatte? Verschaft' ich nicht rechtmäßigen
"Erben auf diesem Weg eine ansehnliche, sonst
"für sie ganz verlorne Summe wieder?"
wenn er so fragte, so wüßt' ich wahrlich nicht,
was strenge, förmliche Gerechtigkeit dagegen
einwenden könte. Aber daß er mein Herz nicht
überzeugen würde; daß ich selbst der Mann
nicht seyn wolte, der solche Verdienste sich er-
wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum

funden, daß er einem Ungluͤcklichen dasjenige
Geheimnis, das er ſchon zweimal, ſelbſt aus
der Marterkammer, unverrathen zuruͤckbrachte,
durch anſcheinende Guͤte dennoch zu entwin-
den wußte. — Zwar, da jede Sache in der
Welt ihre zwiefache Seite hat, ſo wuͤßt' ich,
wenn Falk jezt auftraͤte und fragte: „Was
„hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan,
„als die Gerechtigkeit unterſtuͤzt? Was hab'
„ich anders bezweckt, als — die Wahrheit
„ans Licht zu bringen? War R. etwa kein
„Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach
„unſern Geſezzen, das Leben laͤngſt verwuͤrkt
„hatte? Verſchaft' ich nicht rechtmaͤßigen
„Erben auf dieſem Weg eine anſehnliche, ſonſt
„fuͤr ſie ganz verlorne Summe wieder?“
wenn er ſo fragte, ſo wuͤßt' ich wahrlich nicht,
was ſtrenge, foͤrmliche Gerechtigkeit dagegen
einwenden koͤnte. Aber daß er mein Herz nicht
uͤberzeugen wuͤrde; daß ich ſelbſt der Mann
nicht ſeyn wolte, der ſolche Verdienſte ſich er-
wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0330" n="322"/>
funden, daß er einem Unglu&#x0364;cklichen dasjenige<lb/>
Geheimnis, das er &#x017F;chon zweimal, &#x017F;elb&#x017F;t aus<lb/>
der Marterkammer, unverrathen zuru&#x0364;ckbrachte,<lb/>
durch an&#x017F;cheinende Gu&#x0364;te dennoch zu entwin-<lb/>
den wußte. &#x2014; Zwar, da jede Sache in der<lb/>
Welt ihre zwiefache Seite hat, &#x017F;o wu&#x0364;ßt' ich,<lb/>
wenn Falk jezt auftra&#x0364;te und fragte: &#x201E;Was<lb/>
&#x201E;hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan,<lb/>
&#x201E;als die Gerechtigkeit unter&#x017F;tu&#x0364;zt? Was hab'<lb/>
&#x201E;ich anders bezweckt, als &#x2014; die Wahrheit<lb/>
&#x201E;ans Licht zu bringen? War R. etwa kein<lb/>
&#x201E;Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach<lb/>
&#x201E;un&#x017F;ern Ge&#x017F;ezzen, das Leben la&#x0364;ng&#x017F;t verwu&#x0364;rkt<lb/>
&#x201E;hatte? Ver&#x017F;chaft' ich nicht rechtma&#x0364;ßigen<lb/>
&#x201E;Erben auf die&#x017F;em Weg eine an&#x017F;ehnliche, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;r &#x017F;ie ganz verlorne Summe wieder?&#x201C;<lb/>
wenn er &#x017F;o fragte, &#x017F;o wu&#x0364;ßt' ich wahrlich nicht,<lb/>
was &#x017F;trenge, fo&#x0364;rmliche Gerechtigkeit dagegen<lb/>
einwenden ko&#x0364;nte. Aber daß er mein Herz nicht<lb/>
u&#x0364;berzeugen wu&#x0364;rde; daß ich &#x017F;elb&#x017F;t der Mann<lb/>
nicht &#x017F;eyn wolte, der &#x017F;olche Verdien&#x017F;te &#x017F;ich er-<lb/>
wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0330] funden, daß er einem Ungluͤcklichen dasjenige Geheimnis, das er ſchon zweimal, ſelbſt aus der Marterkammer, unverrathen zuruͤckbrachte, durch anſcheinende Guͤte dennoch zu entwin- den wußte. — Zwar, da jede Sache in der Welt ihre zwiefache Seite hat, ſo wuͤßt' ich, wenn Falk jezt auftraͤte und fragte: „Was „hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan, „als die Gerechtigkeit unterſtuͤzt? Was hab' „ich anders bezweckt, als — die Wahrheit „ans Licht zu bringen? War R. etwa kein „Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach „unſern Geſezzen, das Leben laͤngſt verwuͤrkt „hatte? Verſchaft' ich nicht rechtmaͤßigen „Erben auf dieſem Weg eine anſehnliche, ſonſt „fuͤr ſie ganz verlorne Summe wieder?“ wenn er ſo fragte, ſo wuͤßt' ich wahrlich nicht, was ſtrenge, foͤrmliche Gerechtigkeit dagegen einwenden koͤnte. Aber daß er mein Herz nicht uͤberzeugen wuͤrde; daß ich ſelbſt der Mann nicht ſeyn wolte, der ſolche Verdienſte ſich er- wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/330
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/330>, abgerufen am 17.05.2024.