Mich däucht: selbst dieses Wort ist noch zu hart. Nur Furcht vor Armuth, nur der anfangs sehr verzeihliche Wunsch, nicht tiefer herabzusteigen, als er jezt stehe, war der Grund seines Unglücks. Man nehme den einzigen Umstand weg: daß R. sich nicht für den Sohn eines wohlhabenden Mannes hielt; und man hat wahrscheinlich auch seine nachherige grausende That mit allen Zwischen-Veranlaßungen weggenommen. Er, der selbst bei jenem (sonst den Jüngling ver- zärtelnden) Wahne zum thätigen, geschikten, ordnungsvollen, jungen Mann sich ausgebil- det hatte, -- er würde gewiß alles dies nicht nur geworden, sondern auch auf rechtem Wege geblieben seyn, hätte er früher ge- wußt: daß sein eigner Fleis sein ganzer Reich- thum sey. Nur jene zertrümmerte Hofnung -- an deren Zertrümmerung er nicht Schuld war! -- nur Furcht vor Dürstigkeit und Ver- schlimmerung drängten ihn zur Wahl jenes Hülfsmittels; zu einer ungleichen Heirath, die, thöricht an sich selbst, seiner Unerfahrenheit
Mich daͤucht: ſelbſt dieſes Wort iſt noch zu hart. Nur Furcht vor Armuth, nur der anfangs ſehr verzeihliche Wunſch, nicht tiefer herabzuſteigen, als er jezt ſtehe, war der Grund ſeines Ungluͤcks. Man nehme den einzigen Umſtand weg: daß R. ſich nicht fuͤr den Sohn eines wohlhabenden Mannes hielt; und man hat wahrſcheinlich auch ſeine nachherige grauſende That mit allen Zwiſchen-Veranlaßungen weggenommen. Er, der ſelbſt bei jenem (ſonſt den Juͤngling ver- zaͤrtelnden) Wahne zum thaͤtigen, geſchikten, ordnungsvollen, jungen Mann ſich ausgebil- det hatte, — er wuͤrde gewiß alles dies nicht nur geworden, ſondern auch auf rechtem Wege geblieben ſeyn, haͤtte er fruͤher ge- wußt: daß ſein eigner Fleis ſein ganzer Reich- thum ſey. Nur jene zertruͤmmerte Hofnung — an deren Zertruͤmmerung er nicht Schuld war! — nur Furcht vor Duͤrſtigkeit und Ver- ſchlimmerung draͤngten ihn zur Wahl jenes Huͤlfsmittels; zu einer ungleichen Heirath, die, thoͤricht an ſich ſelbſt, ſeiner Unerfahrenheit
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Mich daͤucht: ſelbſt dieſes Wort iſt noch zu
hart. Nur Furcht vor Armuth, nur
der anfangs ſehr verzeihliche Wunſch, nicht
tiefer herabzuſteigen, als er jezt
ſtehe, war der Grund ſeines Ungluͤcks. Man
nehme den einzigen Umſtand weg: daß R. ſich
nicht fuͤr den Sohn eines wohlhabenden
Mannes hielt; und man hat wahrſcheinlich
auch ſeine nachherige grauſende That mit allen
Zwiſchen-Veranlaßungen weggenommen. Er,
der ſelbſt bei jenem (ſonſt den Juͤngling ver-
zaͤrtelnden) Wahne zum thaͤtigen, geſchikten,
ordnungsvollen, jungen Mann ſich ausgebil-
det hatte, — er wuͤrde gewiß alles dies nicht
nur geworden, ſondern auch auf rechtem
Wege geblieben ſeyn, haͤtte er fruͤher ge-
wußt: daß ſein eigner Fleis ſein ganzer Reich-
thum ſey. Nur jene zertruͤmmerte Hofnung —
an deren Zertruͤmmerung er nicht Schuld
war! — nur Furcht vor Duͤrſtigkeit und Ver-
ſchlimmerung draͤngten ihn zur Wahl jenes
Huͤlfsmittels; zu einer ungleichen Heirath, die,
thoͤricht an ſich ſelbſt, ſeiner Unerfahrenheit
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/325>, abgerufen am 23.11.2024.
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