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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Dem Hause, wo die Witwe zu N--g er-
mordet ward, schief gegenüber, wohnte ein rei-
cher Banquier von ausgebreiteter Achtung;
verschiedne Jünglinge aus der Fremde befanden
und bildeten sich auf seiner Wechselstube; unter
ihnen war grade damals auch Siebald. Schon
längst kante er R. von Ansehn; oft hatt' er
ihn neben der Witwe am Fenster, nicht selten
Arm am Arm mit ihr auf der Straße erblickt;
stets sich im Herzen über dieses ungleiche Paar
geärgert. Noch mehr, einer seiner besten Freun-
de in N--g war ein naher Vetter und einer
von den muthmaslichen Erben der Witwe. Oft
genug hatte sich dieser imGespräche mit ihm über
R. beklagt. Anfangs, daß er jenes gehofteVer-
mögen ihm wegheirathen wolle, und dann,
daß er es größtentheils gestolen habe. Oft
hatte ihn Siebald deshalb, so gut er konte,
getröstet; hatte ihm, als er von N--g weg
auf Reisen ging, noch mit Hand und Mund
versprochen, wenn er irgendwo von dem Mör-
der und Räuber etwas höre oder sehe, es ihm

Dem Hauſe, wo die Witwe zu N—g er-
mordet ward, ſchief gegenuͤber, wohnte ein rei-
cher Banquier von ausgebreiteter Achtung;
verſchiedne Juͤnglinge aus der Fremde befanden
und bildeten ſich auf ſeiner Wechſelſtube; unter
ihnen war grade damals auch Siebald. Schon
laͤngſt kante er R. von Anſehn; oft hatt' er
ihn neben der Witwe am Fenſter, nicht ſelten
Arm am Arm mit ihr auf der Straße erblickt;
ſtets ſich im Herzen uͤber dieſes ungleiche Paar
geaͤrgert. Noch mehr, einer ſeiner beſten Freun-
de in N—g war ein naher Vetter und einer
von den muthmaslichen Erben der Witwe. Oft
genug hatte ſich dieſer imGeſpraͤche mit ihm uͤber
R. beklagt. Anfangs, daß er jenes gehofteVer-
moͤgen ihm wegheirathen wolle, und dann,
daß er es groͤßtentheils geſtolen habe. Oft
hatte ihn Siebald deshalb, ſo gut er konte,
getroͤſtet; hatte ihm, als er von N—g weg
auf Reiſen ging, noch mit Hand und Mund
verſprochen, wenn er irgendwo von dem Moͤr-
der und Raͤuber etwas hoͤre oder ſehe, es ihm

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[287/0295] Dem Hauſe, wo die Witwe zu N—g er- mordet ward, ſchief gegenuͤber, wohnte ein rei- cher Banquier von ausgebreiteter Achtung; verſchiedne Juͤnglinge aus der Fremde befanden und bildeten ſich auf ſeiner Wechſelſtube; unter ihnen war grade damals auch Siebald. Schon laͤngſt kante er R. von Anſehn; oft hatt' er ihn neben der Witwe am Fenſter, nicht ſelten Arm am Arm mit ihr auf der Straße erblickt; ſtets ſich im Herzen uͤber dieſes ungleiche Paar geaͤrgert. Noch mehr, einer ſeiner beſten Freun- de in N—g war ein naher Vetter und einer von den muthmaslichen Erben der Witwe. Oft genug hatte ſich dieſer imGeſpraͤche mit ihm uͤber R. beklagt. Anfangs, daß er jenes gehofteVer- moͤgen ihm wegheirathen wolle, und dann, daß er es groͤßtentheils geſtolen habe. Oft hatte ihn Siebald deshalb, ſo gut er konte, getroͤſtet; hatte ihm, als er von N—g weg auf Reiſen ging, noch mit Hand und Mund verſprochen, wenn er irgendwo von dem Moͤr- der und Raͤuber etwas hoͤre oder ſehe, es ihm

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/295>, abgerufen am 11.05.2024.