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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Jezt, da der Jammer immer größer wur-
de; der Morgen nicht mehr fern war; iener
Bösewicht sich wirklich bereits zum Weggehn
anschickte; entfernt ihn die Alte noch auf ei-
nige Augenblicke, und fiel ihrer Pflegetoch-
ter weinend zu Füßen. Sie stellte ihr die
Größe und Nähe der Gefahr, die Leichtigkeit
sich zu retten, das Verschwiegenbleiben einer
zwiefachen Schmach vor. Sie erinnerte sie
an die Dankbarkeit, die sie ihr schuldig sei,
an die Knute, die ihr als Unterhändlerin
unausbleiblich drohe, und an den Verlust
des eignen Glücks und aller väterlichen Lie-
be. Kurz, sie brachte es endlich dahin,
daß das arme Geschöpf nachgab, und zit-
ternd, wie ein Opferthier, in einen Schritt
willigte, statt dessen sie nachher lieber zwie-
fachen Tod erwählt hätte.

Der Leichnam ward nun fortgeschafft. Nie-
mand errieth am andern Morgen, als er ge-
funden ward, sein wahres Schicksal. Aber
jener Bediente, im Besiz zweier so wichti-
gen Geheimnisse, konnte nun fortan so viel

Jezt, da der Jammer immer groͤßer wur-
de; der Morgen nicht mehr fern war; iener
Boͤſewicht ſich wirklich bereits zum Weggehn
anſchickte; entfernt ihn die Alte noch auf ei-
nige Augenblicke, und fiel ihrer Pflegetoch-
ter weinend zu Fuͤßen. Sie ſtellte ihr die
Groͤße und Naͤhe der Gefahr, die Leichtigkeit
ſich zu retten, das Verſchwiegenbleiben einer
zwiefachen Schmach vor. Sie erinnerte ſie
an die Dankbarkeit, die ſie ihr ſchuldig ſei,
an die Knute, die ihr als Unterhaͤndlerin
unausbleiblich drohe, und an den Verluſt
des eignen Gluͤcks und aller vaͤterlichen Lie-
be. Kurz, ſie brachte es endlich dahin,
daß das arme Geſchoͤpf nachgab, und zit-
ternd, wie ein Opferthier, in einen Schritt
willigte, ſtatt deſſen ſie nachher lieber zwie-
fachen Tod erwaͤhlt haͤtte.

Der Leichnam ward nun fortgeſchafft. Nie-
mand errieth am andern Morgen, als er ge-
funden ward, ſein wahres Schickſal. Aber
jener Bediente, im Beſiz zweier ſo wichti-
gen Geheimniſſe, konnte nun fortan ſo viel

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[15/0023] Jezt, da der Jammer immer groͤßer wur- de; der Morgen nicht mehr fern war; iener Boͤſewicht ſich wirklich bereits zum Weggehn anſchickte; entfernt ihn die Alte noch auf ei- nige Augenblicke, und fiel ihrer Pflegetoch- ter weinend zu Fuͤßen. Sie ſtellte ihr die Groͤße und Naͤhe der Gefahr, die Leichtigkeit ſich zu retten, das Verſchwiegenbleiben einer zwiefachen Schmach vor. Sie erinnerte ſie an die Dankbarkeit, die ſie ihr ſchuldig ſei, an die Knute, die ihr als Unterhaͤndlerin unausbleiblich drohe, und an den Verluſt des eignen Gluͤcks und aller vaͤterlichen Lie- be. Kurz, ſie brachte es endlich dahin, daß das arme Geſchoͤpf nachgab, und zit- ternd, wie ein Opferthier, in einen Schritt willigte, ſtatt deſſen ſie nachher lieber zwie- fachen Tod erwaͤhlt haͤtte. Der Leichnam ward nun fortgeſchafft. Nie- mand errieth am andern Morgen, als er ge- funden ward, ſein wahres Schickſal. Aber jener Bediente, im Beſiz zweier ſo wichti- gen Geheimniſſe, konnte nun fortan ſo viel

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/23>, abgerufen am 21.11.2024.