daß der Anschein der Unschuld also eben so trügend, als der Anschein der Schuld seyn könne.
Auf einem Dorfe in der Oberlausiz, ohn- weit Budißin gelegen, verliebte sich im Jahr 1770 oder 71 ein junger Bauer in eine eben- falls noch junge, ziemlich wohlhabende Witt- we; warb um sie; erhielt aber abschlägliche Antwort. So weh ihm diese leztere that, so schreckte sie ihn doch nicht ganz ab. Er suchte vielmehr alles hervor, was er nur wußt' und vermochte, um sich annehmlicher zu machen; vergebens! Endlich, als nichts anschlagen wollte, schickte er ihr einen Brief, dessen An- fang nochmals warb, und dessen Ende -- drohte. "Jhre Verweigerung werde sie," versicherte er "einst, und zwar bald gereuen; "werde sie noch um Haus und Hof bringen, "wenn sie nicht eines bessern sich besinne." -- Dies hieß freilich sehr nachdrücklich ge- sprochen, ward aber doch -- nicht erhört. Die Wittwe heirathete bald drauf einen an- dern, der ihr besser gefiel.
daß der Anſchein der Unſchuld alſo eben ſo truͤgend, als der Anſchein der Schuld ſeyn koͤnne.
Auf einem Dorfe in der Oberlauſiz, ohn- weit Budißin gelegen, verliebte ſich im Jahr 1770 oder 71 ein junger Bauer in eine eben- falls noch junge, ziemlich wohlhabende Witt- we; warb um ſie; erhielt aber abſchlaͤgliche Antwort. So weh ihm dieſe leztere that, ſo ſchreckte ſie ihn doch nicht ganz ab. Er ſuchte vielmehr alles hervor, was er nur wußt' und vermochte, um ſich annehmlicher zu machen; vergebens! Endlich, als nichts anſchlagen wollte, ſchickte er ihr einen Brief, deſſen An- fang nochmals warb, und deſſen Ende — drohte. „Jhre Verweigerung werde ſie,“ verſicherte er „einſt, und zwar bald gereuen; „werde ſie noch um Haus und Hof bringen, „wenn ſie nicht eines beſſern ſich beſinne.“ — Dies hieß freilich ſehr nachdruͤcklich ge- ſprochen, ward aber doch — nicht erhoͤrt. Die Wittwe heirathete bald drauf einen an- dern, der ihr beſſer gefiel.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0215"n="207"/>
daß der <hirendition="#g">Anſchein der Unſchuld</hi> alſo eben<lb/>ſo truͤgend, als der <hirendition="#g">Anſchein der Schuld</hi><lb/>ſeyn koͤnne.</p><lb/><p>Auf einem Dorfe in der Oberlauſiz, ohn-<lb/>
weit Budißin gelegen, verliebte ſich im Jahr<lb/>
1770 oder 71 ein junger Bauer in eine eben-<lb/>
falls noch junge, ziemlich wohlhabende Witt-<lb/>
we; warb um ſie; erhielt aber abſchlaͤgliche<lb/>
Antwort. So weh ihm dieſe leztere that, ſo<lb/>ſchreckte ſie ihn doch nicht ganz ab. Er ſuchte<lb/>
vielmehr alles hervor, was er nur wußt' und<lb/>
vermochte, um ſich annehmlicher zu machen;<lb/>
vergebens! Endlich, als nichts anſchlagen<lb/>
wollte, ſchickte er ihr einen Brief, deſſen An-<lb/>
fang nochmals <hirendition="#g">warb</hi>, und deſſen Ende —<lb/><hirendition="#g">drohte</hi>. „Jhre Verweigerung werde ſie,“<lb/>
verſicherte er „einſt, und zwar bald gereuen;<lb/>„werde ſie noch um Haus und Hof bringen,<lb/>„wenn ſie nicht eines beſſern ſich beſinne.“<lb/>— Dies hieß freilich ſehr nachdruͤcklich ge-<lb/>ſprochen, ward aber doch — nicht erhoͤrt.<lb/>
Die Wittwe heirathete bald drauf einen an-<lb/>
dern, der ihr beſſer gefiel.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[207/0215]
daß der Anſchein der Unſchuld alſo eben
ſo truͤgend, als der Anſchein der Schuld
ſeyn koͤnne.
Auf einem Dorfe in der Oberlauſiz, ohn-
weit Budißin gelegen, verliebte ſich im Jahr
1770 oder 71 ein junger Bauer in eine eben-
falls noch junge, ziemlich wohlhabende Witt-
we; warb um ſie; erhielt aber abſchlaͤgliche
Antwort. So weh ihm dieſe leztere that, ſo
ſchreckte ſie ihn doch nicht ganz ab. Er ſuchte
vielmehr alles hervor, was er nur wußt' und
vermochte, um ſich annehmlicher zu machen;
vergebens! Endlich, als nichts anſchlagen
wollte, ſchickte er ihr einen Brief, deſſen An-
fang nochmals warb, und deſſen Ende —
drohte. „Jhre Verweigerung werde ſie,“
verſicherte er „einſt, und zwar bald gereuen;
„werde ſie noch um Haus und Hof bringen,
„wenn ſie nicht eines beſſern ſich beſinne.“
— Dies hieß freilich ſehr nachdruͤcklich ge-
ſprochen, ward aber doch — nicht erhoͤrt.
Die Wittwe heirathete bald drauf einen an-
dern, der ihr beſſer gefiel.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/215>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.