Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Man kann sich die Verwunderung leicht
denken, die des andern Morgens bei denjeni-
gen entstand, die zuerst dieser sonderbaren
Bekleidung inne wurden. Die Gutsherrschaft
forschte weiter nach, und die wahre Beschaf-
fenheit der Sache kam bald heraus. Man
versagte der jungen Wittwe die Bewunderung
nicht, die ihre Kühnheit verdiente. Der Leich-
nam ihres Mannes ward vom Rade genom-
men und unter demselben begraben. Für sie
selbst sorgte die Herrschaft nach möglichsten
Kräften. Jene Verachtung, die sonst, unge-
recht genug, die Hinterlassenen eines Gerich-
teten zu verfolgen pflegt, traf sie nie; sie ward
vielmehr nach Verlauf eines Jahres die Gat-
tin eines ihrer Liebe würdigern Mannes.



Man kann ſich die Verwunderung leicht
denken, die des andern Morgens bei denjeni-
gen entſtand, die zuerſt dieſer ſonderbaren
Bekleidung inne wurden. Die Gutsherrſchaft
forſchte weiter nach, und die wahre Beſchaf-
fenheit der Sache kam bald heraus. Man
verſagte der jungen Wittwe die Bewunderung
nicht, die ihre Kuͤhnheit verdiente. Der Leich-
nam ihres Mannes ward vom Rade genom-
men und unter demſelben begraben. Fuͤr ſie
ſelbſt ſorgte die Herrſchaft nach moͤglichſten
Kraͤften. Jene Verachtung, die ſonſt, unge-
recht genug, die Hinterlaſſenen eines Gerich-
teten zu verfolgen pflegt, traf ſie nie; ſie ward
vielmehr nach Verlauf eines Jahres die Gat-
tin eines ihrer Liebe wuͤrdigern Mannes.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0138" n="130"/>
          <p>Man kann &#x017F;ich die Verwunderung leicht<lb/>
denken, die des andern Morgens bei denjeni-<lb/>
gen ent&#x017F;tand, die zuer&#x017F;t die&#x017F;er &#x017F;onderbaren<lb/>
Bekleidung inne wurden. Die Gutsherr&#x017F;chaft<lb/>
for&#x017F;chte weiter nach, und die wahre Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheit der Sache kam bald heraus. Man<lb/>
ver&#x017F;agte der jungen Wittwe die Bewunderung<lb/>
nicht, die ihre Ku&#x0364;hnheit verdiente. Der Leich-<lb/>
nam ihres Mannes ward vom Rade genom-<lb/>
men und unter dem&#x017F;elben begraben. Fu&#x0364;r &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;orgte die Herr&#x017F;chaft nach mo&#x0364;glich&#x017F;ten<lb/>
Kra&#x0364;ften. Jene Verachtung, die &#x017F;on&#x017F;t, unge-<lb/>
recht genug, die Hinterla&#x017F;&#x017F;enen eines Gerich-<lb/>
teten zu verfolgen pflegt, traf &#x017F;ie nie; &#x017F;ie ward<lb/>
vielmehr nach Verlauf eines Jahres die Gat-<lb/>
tin eines ihrer Liebe wu&#x0364;rdigern Mannes.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0138] Man kann ſich die Verwunderung leicht denken, die des andern Morgens bei denjeni- gen entſtand, die zuerſt dieſer ſonderbaren Bekleidung inne wurden. Die Gutsherrſchaft forſchte weiter nach, und die wahre Beſchaf- fenheit der Sache kam bald heraus. Man verſagte der jungen Wittwe die Bewunderung nicht, die ihre Kuͤhnheit verdiente. Der Leich- nam ihres Mannes ward vom Rade genom- men und unter demſelben begraben. Fuͤr ſie ſelbſt ſorgte die Herrſchaft nach moͤglichſten Kraͤften. Jene Verachtung, die ſonſt, unge- recht genug, die Hinterlaſſenen eines Gerich- teten zu verfolgen pflegt, traf ſie nie; ſie ward vielmehr nach Verlauf eines Jahres die Gat- tin eines ihrer Liebe wuͤrdigern Mannes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/138
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/138>, abgerufen am 23.11.2024.