Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wird einerseits der Buchstabe des Gesetzes erfüllt, andererseits aber dem Urtheile der Menge gewillfahrt, die sich des Mannes lebhaft erbarmt. Der gesammte Gerichtshof hatte diese Worte vernommen; das Wort des mächtigen und mit den Absichten des Landesfürsten vertrauten Mannes beruhigte und befriedigte Alle. Sie hatten nicht ohne manches Bedenken ihren Richterspruch gefällt und fühlten sich selbst von feiner Härte gedrückt. Die sechs Schöffen nebst ihrem Vorsitzenden nahmen ihre Plätze im Halbkreise ein. Dem Regierungscommissarius war seitwärts ein Ehrensitz eingeräumt. Der Amtsschreiber, vorn an seinem Tischlein, ergriff seine Feder, und es ward Ordre gegeben, den Müller vorzulassen. Er trat, von zwei Hellebardieren begleitet, ein und ward bedeutet, auf dem Bänkchen Platz zu nehmen. Der Müller Reinbacher war während seiner Haft stark grau geworden, hatte aber von der Kraft und Würde seines Auftretens nichts verloren. Seine Augen gingen ruhig von einem Richter zum andern, ruhten eine Zeitlang auf dem ihm unbekannten Regierungscommissarius und blieben dann auf dem Gesichte des Vorsitzenden hasten. In seinem braunen, festen, derben, wie aus Eichenholz geschnitzten Gesicht rührte sich keine Miene. In den Herzen Des und Jenes unter den Richtern, so trocken und verknöchert sie auch sein mochten, wird einerseits der Buchstabe des Gesetzes erfüllt, andererseits aber dem Urtheile der Menge gewillfahrt, die sich des Mannes lebhaft erbarmt. Der gesammte Gerichtshof hatte diese Worte vernommen; das Wort des mächtigen und mit den Absichten des Landesfürsten vertrauten Mannes beruhigte und befriedigte Alle. Sie hatten nicht ohne manches Bedenken ihren Richterspruch gefällt und fühlten sich selbst von feiner Härte gedrückt. Die sechs Schöffen nebst ihrem Vorsitzenden nahmen ihre Plätze im Halbkreise ein. Dem Regierungscommissarius war seitwärts ein Ehrensitz eingeräumt. Der Amtsschreiber, vorn an seinem Tischlein, ergriff seine Feder, und es ward Ordre gegeben, den Müller vorzulassen. Er trat, von zwei Hellebardieren begleitet, ein und ward bedeutet, auf dem Bänkchen Platz zu nehmen. Der Müller Reinbacher war während seiner Haft stark grau geworden, hatte aber von der Kraft und Würde seines Auftretens nichts verloren. Seine Augen gingen ruhig von einem Richter zum andern, ruhten eine Zeitlang auf dem ihm unbekannten Regierungscommissarius und blieben dann auf dem Gesichte des Vorsitzenden hasten. In seinem braunen, festen, derben, wie aus Eichenholz geschnitzten Gesicht rührte sich keine Miene. In den Herzen Des und Jenes unter den Richtern, so trocken und verknöchert sie auch sein mochten, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="13"> <p><pb facs="#f0089"/> wird einerseits der Buchstabe des Gesetzes erfüllt, andererseits aber dem Urtheile der Menge gewillfahrt, die sich des Mannes lebhaft erbarmt.</p><lb/> <p>Der gesammte Gerichtshof hatte diese Worte vernommen; das Wort des mächtigen und mit den Absichten des Landesfürsten vertrauten Mannes beruhigte und befriedigte Alle. Sie hatten nicht ohne manches Bedenken ihren Richterspruch gefällt und fühlten sich selbst von feiner Härte gedrückt.</p><lb/> <p>Die sechs Schöffen nebst ihrem Vorsitzenden nahmen ihre Plätze im Halbkreise ein. Dem Regierungscommissarius war seitwärts ein Ehrensitz eingeräumt. Der Amtsschreiber, vorn an seinem Tischlein, ergriff seine Feder, und es ward Ordre gegeben, den Müller vorzulassen. Er trat, von zwei Hellebardieren begleitet, ein und ward bedeutet, auf dem Bänkchen Platz zu nehmen.</p><lb/> <p>Der Müller Reinbacher war während seiner Haft stark grau geworden, hatte aber von der Kraft und Würde seines Auftretens nichts verloren. Seine Augen gingen ruhig von einem Richter zum andern, ruhten eine Zeitlang auf dem ihm unbekannten Regierungscommissarius und blieben dann auf dem Gesichte des Vorsitzenden hasten. In seinem braunen, festen, derben, wie aus Eichenholz geschnitzten Gesicht rührte sich keine Miene.</p><lb/> <p>In den Herzen Des und Jenes unter den Richtern, so trocken und verknöchert sie auch sein mochten,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0089]
wird einerseits der Buchstabe des Gesetzes erfüllt, andererseits aber dem Urtheile der Menge gewillfahrt, die sich des Mannes lebhaft erbarmt.
Der gesammte Gerichtshof hatte diese Worte vernommen; das Wort des mächtigen und mit den Absichten des Landesfürsten vertrauten Mannes beruhigte und befriedigte Alle. Sie hatten nicht ohne manches Bedenken ihren Richterspruch gefällt und fühlten sich selbst von feiner Härte gedrückt.
Die sechs Schöffen nebst ihrem Vorsitzenden nahmen ihre Plätze im Halbkreise ein. Dem Regierungscommissarius war seitwärts ein Ehrensitz eingeräumt. Der Amtsschreiber, vorn an seinem Tischlein, ergriff seine Feder, und es ward Ordre gegeben, den Müller vorzulassen. Er trat, von zwei Hellebardieren begleitet, ein und ward bedeutet, auf dem Bänkchen Platz zu nehmen.
Der Müller Reinbacher war während seiner Haft stark grau geworden, hatte aber von der Kraft und Würde seines Auftretens nichts verloren. Seine Augen gingen ruhig von einem Richter zum andern, ruhten eine Zeitlang auf dem ihm unbekannten Regierungscommissarius und blieben dann auf dem Gesichte des Vorsitzenden hasten. In seinem braunen, festen, derben, wie aus Eichenholz geschnitzten Gesicht rührte sich keine Miene.
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/89>, abgerufen am 16.02.2025. |