Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Keine menschliche Seele war nahe. Ohne ein Wort unter einander gewechselt zu haben, erreichten Herr und Knecht den Galgen. Wendelin sprang ab, aber zugleich auch der Müller. Er hatte die Leiche des Kornergeorg auf seine Schulter geladen. Wollt Ihr es thun? fragte Wendelin. Ja, laß mich es thun, ich bin der Stärkere, entgegnete Reinbacher. Und schon stieg er, die Bürde auf seiner Schulter, den Galgenhügel hinan. Wendelin wartete. Es dauerte ihm lange. Sein Herz pochte hörbar. Endlich kam Reinbacher zurück, bleich, verstört, wie ein Betrunkener auf seinen Füßen taumelnd. Ist es geschehen? fragte Wendelin. Ja, ja, er ist wieder am alten Orte, erwiderte der Müller, und nun nach Hause. Der Mond, der diese letzte Zeit hindurch hinter Wolken verborgen gewesen, trat noch einmal bleich und groß hervor und ging unter. Die Heimfahrt ging abermals still von Statten. Auch diesmal begegneten sie keiner lebendigen Seele. Als der Reinbacher sein Haus hinter den Weiden erblickte, seufzte er tief auf und murmelte: Gott sei gedankt, die Mühle geht noch, und Alles ist beim Alten. Er aber ist dort, wo er war. Das Alles ist ein Keine menschliche Seele war nahe. Ohne ein Wort unter einander gewechselt zu haben, erreichten Herr und Knecht den Galgen. Wendelin sprang ab, aber zugleich auch der Müller. Er hatte die Leiche des Kornergeorg auf seine Schulter geladen. Wollt Ihr es thun? fragte Wendelin. Ja, laß mich es thun, ich bin der Stärkere, entgegnete Reinbacher. Und schon stieg er, die Bürde auf seiner Schulter, den Galgenhügel hinan. Wendelin wartete. Es dauerte ihm lange. Sein Herz pochte hörbar. Endlich kam Reinbacher zurück, bleich, verstört, wie ein Betrunkener auf seinen Füßen taumelnd. Ist es geschehen? fragte Wendelin. Ja, ja, er ist wieder am alten Orte, erwiderte der Müller, und nun nach Hause. Der Mond, der diese letzte Zeit hindurch hinter Wolken verborgen gewesen, trat noch einmal bleich und groß hervor und ging unter. Die Heimfahrt ging abermals still von Statten. Auch diesmal begegneten sie keiner lebendigen Seele. Als der Reinbacher sein Haus hinter den Weiden erblickte, seufzte er tief auf und murmelte: Gott sei gedankt, die Mühle geht noch, und Alles ist beim Alten. Er aber ist dort, wo er war. Das Alles ist ein <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <pb facs="#f0043"/> <p>Keine menschliche Seele war nahe.</p><lb/> <p>Ohne ein Wort unter einander gewechselt zu haben, erreichten Herr und Knecht den Galgen. Wendelin sprang ab, aber zugleich auch der Müller. Er hatte die Leiche des Kornergeorg auf seine Schulter geladen.</p><lb/> <p>Wollt Ihr es thun? fragte Wendelin.</p><lb/> <p>Ja, laß mich es thun, ich bin der Stärkere, entgegnete Reinbacher.</p><lb/> <p>Und schon stieg er, die Bürde auf seiner Schulter, den Galgenhügel hinan.</p><lb/> <p>Wendelin wartete. Es dauerte ihm lange. Sein Herz pochte hörbar.</p><lb/> <p>Endlich kam Reinbacher zurück, bleich, verstört, wie ein Betrunkener auf seinen Füßen taumelnd.</p><lb/> <p>Ist es geschehen? fragte Wendelin.</p><lb/> <p>Ja, ja, er ist wieder am alten Orte, erwiderte der Müller, und nun nach Hause.</p><lb/> <p>Der Mond, der diese letzte Zeit hindurch hinter Wolken verborgen gewesen, trat noch einmal bleich und groß hervor und ging unter.</p><lb/> <p>Die Heimfahrt ging abermals still von Statten.</p><lb/> <p>Auch diesmal begegneten sie keiner lebendigen Seele.</p><lb/> <p>Als der Reinbacher sein Haus hinter den Weiden erblickte, seufzte er tief auf und murmelte: Gott sei gedankt, die Mühle geht noch, und Alles ist beim Alten. Er aber ist dort, wo er war. Das Alles ist ein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
Keine menschliche Seele war nahe.
Ohne ein Wort unter einander gewechselt zu haben, erreichten Herr und Knecht den Galgen. Wendelin sprang ab, aber zugleich auch der Müller. Er hatte die Leiche des Kornergeorg auf seine Schulter geladen.
Wollt Ihr es thun? fragte Wendelin.
Ja, laß mich es thun, ich bin der Stärkere, entgegnete Reinbacher.
Und schon stieg er, die Bürde auf seiner Schulter, den Galgenhügel hinan.
Wendelin wartete. Es dauerte ihm lange. Sein Herz pochte hörbar.
Endlich kam Reinbacher zurück, bleich, verstört, wie ein Betrunkener auf seinen Füßen taumelnd.
Ist es geschehen? fragte Wendelin.
Ja, ja, er ist wieder am alten Orte, erwiderte der Müller, und nun nach Hause.
Der Mond, der diese letzte Zeit hindurch hinter Wolken verborgen gewesen, trat noch einmal bleich und groß hervor und ging unter.
Die Heimfahrt ging abermals still von Statten.
Auch diesmal begegneten sie keiner lebendigen Seele.
Als der Reinbacher sein Haus hinter den Weiden erblickte, seufzte er tief auf und murmelte: Gott sei gedankt, die Mühle geht noch, und Alles ist beim Alten. Er aber ist dort, wo er war. Das Alles ist ein
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/43>, abgerufen am 16.07.2024. |