Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.seltsamer Weiß meinem Töchterlein die lateinische Sprache *) Anna Maria Schurmann geb. zu Cöln am 5ten
Novbr. 1607, gestorben zu Wiewardin d. 5ten May 1678 war nach dem übereinstimmenden Zeugniß ihrer Zeitgenos¬ sen ein Wunder der Gelehrsamkeit und vielleicht das ge¬ lehrteste Weib, das je auf Erden lebte. Der Franzose Nande urtheilt von ihr; was die Hand bilden und der Geist fas¬ sen kann, trifft man bei ihr allein. Keine malt besser, keine bildet besser in Erz, Wachs und Holz. In der Stickerei übertrifft sie alle alten und neuen Weiber. Man weiß nicht in welcher Art der Gelehrsamkeit sie sich am mehrsten aus¬ gezeichnet. Nicht mit den europäischen Sprachen zufrieden, versieht sie hebräisch, arabisch, syrisch und schreibt ein La¬ tein, daß kein Mann, der sein Leben darauf verwendet, es besser kann. Der berühmte Niederländer Spanheim nennt sie "eine Lehrerin der Gratien und Musen," der noch be¬ rühmtere Salmasius gesteht: er wisse nicht in welcher Art der Gelehrsamkeit er ihr den Vorzug geben solle, und der Pole Rotyer nennt ste gar "das einzige Exemplar aller Wunderwerke an einem gelehrten Menschen, und ein gänz¬ liches Monstrum ihres Geschlechts doch ohne Fehler und Ta¬ del." Denn in der That behielt sie bei ihrem außerordent¬ lichen Wissen eine bewunderswürdige Demuth, wiewohl sie selbst gesteht, daß die unmäßigen Lobsprüche der Gelehrten sie jezuweilen zu eigener Selbstverblendung verleitet hät¬ ten. In späteren Jahren trat sie zu der Gemeine der La¬ badisten über, welche manche Aehnlichkeit mit den neuern Muckern gehabt zu haben scheint, starb aber unvermählt, da eine frühe Liebe (schon in ihrem 15ten Jahre) mit dem Holländer Caets sich zerschlagen hatte. Als Seltsamkeit von ihr wird angeführt, daß sie gerne Spinnen gegessen. -- Ihre ſeltſamer Weiß meinem Töchterlein die lateiniſche Sprache *) Anna Maria Schurmann geb. zu Cöln am 5ten
Novbr. 1607, geſtorben zu Wiewardin d. 5ten May 1678 war nach dem übereinſtimmenden Zeugniß ihrer Zeitgenoſ¬ ſen ein Wunder der Gelehrſamkeit und vielleicht das ge¬ lehrteſte Weib, das je auf Erden lebte. Der Franzoſe Nandé urtheilt von ihr; was die Hand bilden und der Geiſt faſ¬ ſen kann, trifft man bei ihr allein. Keine malt beſſer, keine bildet beſſer in Erz, Wachs und Holz. In der Stickerei übertrifft ſie alle alten und neuen Weiber. Man weiß nicht in welcher Art der Gelehrſamkeit ſie ſich am mehrſten aus¬ gezeichnet. Nicht mit den europäiſchen Sprachen zufrieden, verſieht ſie hebräiſch, arabiſch, ſyriſch und ſchreibt ein La¬ tein, daß kein Mann, der ſein Leben darauf verwendet, es beſſer kann. Der berühmte Niederländer Spanheim nennt ſie „eine Lehrerin der Gratien und Muſen,“ der noch be¬ rühmtere Salmaſius geſteht: er wiſſe nicht in welcher Art der Gelehrſamkeit er ihr den Vorzug geben ſolle, und der Pole Rotyer nennt ſte gar „das einzige Exemplar aller Wunderwerke an einem gelehrten Menſchen, und ein gänz¬ liches Monstrum ihres Geſchlechts doch ohne Fehler und Ta¬ del.“ Denn in der That behielt ſie bei ihrem außerordent¬ lichen Wiſſen eine bewunderswürdige Demuth, wiewohl ſie ſelbſt geſteht, daß die unmäßigen Lobſprüche der Gelehrten ſie jezuweilen zu eigener Selbſtverblendung verleitet hät¬ ten. In ſpäteren Jahren trat ſie zu der Gemeine der La¬ badiſten über, welche manche Aehnlichkeit mit den neuern Muckern gehabt zu haben ſcheint, ſtarb aber unvermählt, da eine frühe Liebe (ſchon in ihrem 15ten Jahre) mit dem Holländer Caets ſich zerſchlagen hatte. Als Seltſamkeit von ihr wird angeführt, daß ſie gerne Spinnen gegeſſen. — Ihre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0077" n="61"/> ſeltſamer Weiß meinem Töchterlein die lateiniſche Sprache<lb/> gelernet, antwortete ich: daß ich gar viel durch einen<lb/> Vetter in Cöln von der Schurmannin <note xml:id="note-0077" next="#note-0078" place="foot" n="*)">Anna Maria Schurmann geb. zu Cöln am 5ten<lb/> Novbr. 1607, geſtorben zu Wiewardin d. 5ten May 1678<lb/> war nach dem übereinſtimmenden Zeugniß ihrer Zeitgenoſ¬<lb/> ſen ein Wunder der Gelehrſamkeit und vielleicht das ge¬<lb/> lehrteſte Weib, das je auf Erden lebte. Der Franzoſe Nandé<lb/> urtheilt von ihr; was die Hand bilden und der Geiſt faſ¬<lb/> ſen kann, trifft man bei ihr allein. Keine malt beſſer, keine<lb/> bildet beſſer in Erz, Wachs und Holz. In der Stickerei<lb/> übertrifft ſie alle alten und neuen Weiber. Man weiß nicht<lb/> in welcher Art der Gelehrſamkeit ſie ſich am mehrſten aus¬<lb/> gezeichnet. Nicht mit den europäiſchen Sprachen zufrieden,<lb/> verſieht ſie hebräiſch, arabiſch, ſyriſch und ſchreibt ein La¬<lb/> tein, daß kein Mann, der ſein Leben darauf verwendet, es<lb/> beſſer kann. Der berühmte Niederländer Spanheim nennt<lb/> ſie „eine Lehrerin der Gratien und Muſen,“ der noch be¬<lb/> rühmtere Salmaſius geſteht: er wiſſe nicht in welcher Art<lb/> der Gelehrſamkeit er ihr den Vorzug geben ſolle, und der<lb/> Pole Rotyer nennt ſte gar „das einzige Exemplar aller<lb/> Wunderwerke an einem gelehrten Menſchen, und ein gänz¬<lb/> liches <hi rendition="#aq">Monstrum</hi> ihres Geſchlechts doch ohne Fehler und Ta¬<lb/> del.“ Denn in der That behielt ſie bei ihrem außerordent¬<lb/> lichen Wiſſen eine bewunderswürdige Demuth, wiewohl ſie<lb/> ſelbſt geſteht, daß die unmäßigen Lobſprüche der Gelehrten<lb/> ſie jezuweilen zu eigener Selbſtverblendung verleitet hät¬<lb/> ten. In ſpäteren Jahren trat ſie zu der Gemeine der La¬<lb/> badiſten über, welche manche Aehnlichkeit mit den neuern<lb/> Muckern gehabt zu haben ſcheint, ſtarb aber unvermählt,<lb/> da eine frühe Liebe (ſchon in ihrem 15ten Jahre) mit dem<lb/> Holländer Caets ſich zerſchlagen hatte. Als Seltſamkeit von<lb/> ihr wird angeführt, daß ſie gerne Spinnen gegeſſen. — Ihre</note> gehöret und da<lb/> ich ein faſt trefflich <hi rendition="#aq">ingenium</hi> bei meinem Kinde ver¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0077]
ſeltſamer Weiß meinem Töchterlein die lateiniſche Sprache
gelernet, antwortete ich: daß ich gar viel durch einen
Vetter in Cöln von der Schurmannin *) gehöret und da
ich ein faſt trefflich ingenium bei meinem Kinde ver¬
*) Anna Maria Schurmann geb. zu Cöln am 5ten
Novbr. 1607, geſtorben zu Wiewardin d. 5ten May 1678
war nach dem übereinſtimmenden Zeugniß ihrer Zeitgenoſ¬
ſen ein Wunder der Gelehrſamkeit und vielleicht das ge¬
lehrteſte Weib, das je auf Erden lebte. Der Franzoſe Nandé
urtheilt von ihr; was die Hand bilden und der Geiſt faſ¬
ſen kann, trifft man bei ihr allein. Keine malt beſſer, keine
bildet beſſer in Erz, Wachs und Holz. In der Stickerei
übertrifft ſie alle alten und neuen Weiber. Man weiß nicht
in welcher Art der Gelehrſamkeit ſie ſich am mehrſten aus¬
gezeichnet. Nicht mit den europäiſchen Sprachen zufrieden,
verſieht ſie hebräiſch, arabiſch, ſyriſch und ſchreibt ein La¬
tein, daß kein Mann, der ſein Leben darauf verwendet, es
beſſer kann. Der berühmte Niederländer Spanheim nennt
ſie „eine Lehrerin der Gratien und Muſen,“ der noch be¬
rühmtere Salmaſius geſteht: er wiſſe nicht in welcher Art
der Gelehrſamkeit er ihr den Vorzug geben ſolle, und der
Pole Rotyer nennt ſte gar „das einzige Exemplar aller
Wunderwerke an einem gelehrten Menſchen, und ein gänz¬
liches Monstrum ihres Geſchlechts doch ohne Fehler und Ta¬
del.“ Denn in der That behielt ſie bei ihrem außerordent¬
lichen Wiſſen eine bewunderswürdige Demuth, wiewohl ſie
ſelbſt geſteht, daß die unmäßigen Lobſprüche der Gelehrten
ſie jezuweilen zu eigener Selbſtverblendung verleitet hät¬
ten. In ſpäteren Jahren trat ſie zu der Gemeine der La¬
badiſten über, welche manche Aehnlichkeit mit den neuern
Muckern gehabt zu haben ſcheint, ſtarb aber unvermählt,
da eine frühe Liebe (ſchon in ihrem 15ten Jahre) mit dem
Holländer Caets ſich zerſchlagen hatte. Als Seltſamkeit von
ihr wird angeführt, daß ſie gerne Spinnen gegeſſen. — Ihre
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