Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

solche Rede schriee mein arm Kind laut auf und fiel in
Unmacht. Wollte ihr dahero zu Hülfe springen, aber
ich erharrete nit ihr Lager, sondern fiel für gräulichen
Jammer selbsten zur Erden. Als nun die Magd wie
der alte Paassch ein laut Geschrei herfürstießen, kamen
wir zwar wieder bei uns, aber ich konnte mich nit al¬
lein mehr von der Erden erheben, so hatte der Herr
meine Gebein zermalmet. Bate daher, als sie mir bei¬
sprangen, so wöllten mich nur liegen lassen, und als sie
solches zu thun sich wegerten, schriee ich, daß ich doch
gleich wieder zur Erden müßt' ümb zu beten und möch¬
ten sie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus der Stu¬
ben gehn. Solliches thäten sie, aber das Beten wollte
nit gehen. Ich geriethe in schweren Unglauben und Ver¬
zweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er mich
härter plagete denn Lazarum und Hiob. Denn dem
Lazaro schriee ich Elender, hattest du doch die Brosa¬
men und die barmherzigen Hündlein gelassen, aber mir
hast du nichts gelassen, und bin ich selber schlechter vor
dir, denn ein Hund geachtet, und den Hiob hast du nicht
gestrafet, ehe du gnädiglich ihm seine Kinder genommen,
mir aber lässest du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual
meine eingene noch tausendfältiglich häufen muß. Siehe
darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du
sie bald von dieser Erden nimmst, damit mein graues
Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe
ich ruchloser Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod
gessen und mein Kindlein hungern lassen! O Herr Jesu,

ſolche Rede ſchriee mein arm Kind laut auf und fiel in
Unmacht. Wollte ihr dahero zu Hülfe ſpringen, aber
ich erharrete nit ihr Lager, ſondern fiel für gräulichen
Jammer ſelbſten zur Erden. Als nun die Magd wie
der alte Paaſsch ein laut Geſchrei herfürſtießen, kamen
wir zwar wieder bei uns, aber ich konnte mich nit al¬
lein mehr von der Erden erheben, ſo hatte der Herr
meine Gebein zermalmet. Bate daher, als ſie mir bei¬
ſprangen, ſo wöllten mich nur liegen laſſen, und als ſie
ſolches zu thun ſich wegerten, ſchriee ich, daß ich doch
gleich wieder zur Erden müßt' ümb zu beten und möch¬
ten ſie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus der Stu¬
ben gehn. Solliches thäten ſie, aber das Beten wollte
nit gehen. Ich geriethe in ſchweren Unglauben und Ver¬
zweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er mich
härter plagete denn Lazarum und Hiob. Denn dem
Lazaro ſchriee ich Elender, hatteſt du doch die Broſa¬
men und die barmherzigen Hündlein gelaſſen, aber mir
haſt du nichts gelaſſen, und bin ich ſelber ſchlechter vor
dir, denn ein Hund geachtet, und den Hiob haſt du nicht
geſtrafet, ehe du gnädiglich ihm ſeine Kinder genommen,
mir aber läſſeſt du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual
meine eingene noch tauſendfältiglich häufen muß. Siehe
darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du
ſie bald von dieſer Erden nimmſt, damit mein graues
Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe
ich ruchloſer Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod
geſſen und mein Kindlein hungern laſſen! O Herr Jeſu,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="36"/>
&#x017F;olche Rede &#x017F;chriee mein arm Kind laut auf und fiel in<lb/>
Unmacht. Wollte ihr dahero zu Hülfe &#x017F;pringen, aber<lb/>
ich erharrete nit ihr Lager, &#x017F;ondern fiel für gräulichen<lb/>
Jammer &#x017F;elb&#x017F;ten zur Erden. Als nun die Magd wie<lb/>
der alte Paa&#x017F;sch ein laut Ge&#x017F;chrei herfür&#x017F;tießen, kamen<lb/>
wir zwar wieder bei uns, aber ich konnte mich nit al¬<lb/>
lein mehr von der Erden erheben, &#x017F;o hatte der Herr<lb/>
meine Gebein zermalmet. Bate daher, als &#x017F;ie mir bei¬<lb/>
&#x017F;prangen, &#x017F;o wöllten mich nur liegen la&#x017F;&#x017F;en, und als &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;olches zu thun &#x017F;ich wegerten, &#x017F;chriee ich, daß ich doch<lb/>
gleich wieder zur Erden müßt' ümb zu beten und möch¬<lb/>
ten &#x017F;ie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus der Stu¬<lb/>
ben gehn. Solliches thäten &#x017F;ie, aber das Beten wollte<lb/>
nit gehen. Ich geriethe in &#x017F;chweren Unglauben und Ver¬<lb/>
zweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er mich<lb/>
härter plagete denn <hi rendition="#aq">Lazarum</hi> und <hi rendition="#aq">Hiob</hi>. Denn dem<lb/><hi rendition="#aq">Lazaro</hi> &#x017F;chriee ich Elender, hatte&#x017F;t du doch die Bro&#x017F;<lb/>
men und die barmherzigen Hündlein gela&#x017F;&#x017F;en, aber mir<lb/>
ha&#x017F;t du nichts gela&#x017F;&#x017F;en, und bin ich &#x017F;elber &#x017F;chlechter vor<lb/>
dir, denn ein Hund geachtet, und den <hi rendition="#aq">Hiob</hi> ha&#x017F;t du nicht<lb/>
ge&#x017F;trafet, ehe du gnädiglich ihm &#x017F;eine Kinder genommen,<lb/>
mir aber lä&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual<lb/>
meine eingene noch tau&#x017F;endfältiglich häufen muß. Siehe<lb/>
darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du<lb/>
&#x017F;ie bald von die&#x017F;er Erden nimm&#x017F;t, damit mein graues<lb/>
Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe<lb/>
ich ruchlo&#x017F;er Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en und mein Kindlein hungern la&#x017F;&#x017F;en! O Herr Je&#x017F;u,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0052] ſolche Rede ſchriee mein arm Kind laut auf und fiel in Unmacht. Wollte ihr dahero zu Hülfe ſpringen, aber ich erharrete nit ihr Lager, ſondern fiel für gräulichen Jammer ſelbſten zur Erden. Als nun die Magd wie der alte Paaſsch ein laut Geſchrei herfürſtießen, kamen wir zwar wieder bei uns, aber ich konnte mich nit al¬ lein mehr von der Erden erheben, ſo hatte der Herr meine Gebein zermalmet. Bate daher, als ſie mir bei¬ ſprangen, ſo wöllten mich nur liegen laſſen, und als ſie ſolches zu thun ſich wegerten, ſchriee ich, daß ich doch gleich wieder zur Erden müßt' ümb zu beten und möch¬ ten ſie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus der Stu¬ ben gehn. Solliches thäten ſie, aber das Beten wollte nit gehen. Ich geriethe in ſchweren Unglauben und Ver¬ zweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er mich härter plagete denn Lazarum und Hiob. Denn dem Lazaro ſchriee ich Elender, hatteſt du doch die Broſa¬ men und die barmherzigen Hündlein gelaſſen, aber mir haſt du nichts gelaſſen, und bin ich ſelber ſchlechter vor dir, denn ein Hund geachtet, und den Hiob haſt du nicht geſtrafet, ehe du gnädiglich ihm ſeine Kinder genommen, mir aber läſſeſt du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual meine eingene noch tauſendfältiglich häufen muß. Siehe darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du ſie bald von dieſer Erden nimmſt, damit mein graues Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe ich ruchloſer Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod geſſen und mein Kindlein hungern laſſen! O Herr Jeſu,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/52
Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/52>, abgerufen am 23.11.2024.