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Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

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gleich für Freuden auf und begunnte auf die Bank zu
klettern. Daher bekam sie einen Theil von der Schnede,
einen Theil unsere Magd und den dritten Theil steckte
mein Töchterlein in den Mund, da ich Nichtes haben
wollte, sondern sprach: ich verspüre keinen Hunger und
wölle warten bis sie das Fleisch gesotten, welches ich
nunmehro auch auf die Bank wurf. Da hätte man se¬
hen sollen, welche Freude mein armes Kind empfund,
zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete.
Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, schluchzete, hob
alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzete mit
selbiger in der Stuben und recitirete nach ihrer Weiß
dazu allerhand lateinische versus so sie auswendig wußte.
Nun wöllte sie uns auch ein recht schön Abendbrod zu¬
richten, da in einer Fleischtonnen, so die Kaiserlichen zu¬
schlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblie¬
ben. Ließ sie also ihr Wesen treiben, und kratzete et¬
was Ruß aus dem Schornstein, so ich mit Wasser ver¬
mengete, riß alsdann ein fast weißes Blatt aus dem
Virgilio und schriebe an den pastorem Liepensem, Ehre
Abrahm Tiburtius: Daß er umb Gottes willen sich
wölle unsere Noth zu Herzen gehen lassen, und seine
Kapselleute vermahnen, daß sie uns für dem grimmigen
Hungertod schützen und mildthätiglich an Speise und Trank
abtheilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen ge¬
lassen, angesehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß
sie seit langer Zeit Friede für dem erschröcklichen Feind
gehabt. -- Wußte aber nit, womit ich den Brief ver¬

gleich für Freuden auf und begunnte auf die Bank zu
klettern. Daher bekam ſie einen Theil von der Schnede,
einen Theil unſere Magd und den dritten Theil ſteckte
mein Töchterlein in den Mund, da ich Nichtes haben
wollte, ſondern ſprach: ich verſpüre keinen Hunger und
wölle warten bis ſie das Fleiſch geſotten, welches ich
nunmehro auch auf die Bank wurf. Da hätte man ſe¬
hen ſollen, welche Freude mein armes Kind empfund,
zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete.
Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, ſchluchzete, hob
alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzete mit
ſelbiger in der Stuben und recitirete nach ihrer Weiß
dazu allerhand lateiniſche versus ſo ſie auswendig wußte.
Nun wöllte ſie uns auch ein recht ſchön Abendbrod zu¬
richten, da in einer Fleiſchtonnen, ſo die Kaiſerlichen zu¬
ſchlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblie¬
ben. Ließ ſie alſo ihr Weſen treiben, und kratzete et¬
was Ruß aus dem Schornſtein, ſo ich mit Waſſer ver¬
mengete, riß alsdann ein faſt weißes Blatt aus dem
Virgilio und ſchriebe an den pastorem Liepensem, Ehre
Abrahm Tiburtius: Daß er umb Gottes willen ſich
wölle unſere Noth zu Herzen gehen laſſen, und ſeine
Kapſelleute vermahnen, daß ſie uns für dem grimmigen
Hungertod ſchützen und mildthätiglich an Speiſe und Trank
abtheilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen ge¬
laſſen, angeſehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß
ſie ſeit langer Zeit Friede für dem erſchröcklichen Feind
gehabt. — Wußte aber nit, womit ich den Brief ver¬

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[27/0043] gleich für Freuden auf und begunnte auf die Bank zu klettern. Daher bekam ſie einen Theil von der Schnede, einen Theil unſere Magd und den dritten Theil ſteckte mein Töchterlein in den Mund, da ich Nichtes haben wollte, ſondern ſprach: ich verſpüre keinen Hunger und wölle warten bis ſie das Fleiſch geſotten, welches ich nunmehro auch auf die Bank wurf. Da hätte man ſe¬ hen ſollen, welche Freude mein armes Kind empfund, zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete. Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, ſchluchzete, hob alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzete mit ſelbiger in der Stuben und recitirete nach ihrer Weiß dazu allerhand lateiniſche versus ſo ſie auswendig wußte. Nun wöllte ſie uns auch ein recht ſchön Abendbrod zu¬ richten, da in einer Fleiſchtonnen, ſo die Kaiſerlichen zu¬ ſchlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblie¬ ben. Ließ ſie alſo ihr Weſen treiben, und kratzete et¬ was Ruß aus dem Schornſtein, ſo ich mit Waſſer ver¬ mengete, riß alsdann ein faſt weißes Blatt aus dem Virgilio und ſchriebe an den pastorem Liepensem, Ehre Abrahm Tiburtius: Daß er umb Gottes willen ſich wölle unſere Noth zu Herzen gehen laſſen, und ſeine Kapſelleute vermahnen, daß ſie uns für dem grimmigen Hungertod ſchützen und mildthätiglich an Speiſe und Trank abtheilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen ge¬ laſſen, angeſehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß ſie ſeit langer Zeit Friede für dem erſchröcklichen Feind gehabt. — Wußte aber nit, womit ich den Brief ver¬

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Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/43>, abgerufen am 18.04.2024.