fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Uekeritze so ich eingeschlagen, einen Bett¬ lersmann, der saß mit seinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein Stücklein seltene Gottesgabe, verstehe ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen so voll Wassers, daß ich mich erst bücken und es zur Erde mußte laufen lassen, ehe ich fragen kunte: "wer bistu, und wo kommstu her, daß du Brod hast?" Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann aus Bannemin sei, deme der Feind Allens genommen, und da er erfahren, daß der Lieper Winkel *) fast lange Frieden gehabt, hätt' er sich aufgemacht daselbsten zu schnurren. "Nun sage ich darauf: du armer Bettlers¬ mann, so theile einem betrübten Diener Christi der är¬ mer ist denn du, nur eine kleine Schnede **) Brodt für sein armes Töchterlein ab, denn du sollt wissen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will sterben für Hunger. Ich beschwere dich bei dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen lässest, ohne dich mein zu erbar¬ men, wie man sich dein erbarmet hat." Aber der Bett¬ lersmann wollte mir nichts abtheilen, sprechende: daß er selbsten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen, massen die Noth in Ban¬ nemin noch viel größer sei, denn hier, wo wir doch Beere hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort
*) Ein abgelegener Theil der Insel Usedom.
**) Plattdeutsch, für Schnitte.
fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Uekeritze ſo ich eingeſchlagen, einen Bett¬ lersmann, der ſaß mit ſeinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein Stücklein ſeltene Gottesgabe, verſtehe ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen ſo voll Waſſers, daß ich mich erſt bücken und es zur Erde mußte laufen laſſen, ehe ich fragen kunte: „wer biſtu, und wo kommſtu her, daß du Brod haſt?“ Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann aus Bannemin ſei, deme der Feind Allens genommen, und da er erfahren, daß der Lieper Winkel *) faſt lange Frieden gehabt, hätt’ er ſich aufgemacht daſelbſten zu ſchnurren. „Nun ſage ich darauf: du armer Bettlers¬ mann, ſo theile einem betrübten Diener Chriſti der är¬ mer iſt denn du, nur eine kleine Schnede **) Brodt für ſein armes Töchterlein ab, denn du ſollt wiſſen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will ſterben für Hunger. Ich beſchwere dich bei dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen läſſeſt, ohne dich mein zu erbar¬ men, wie man ſich dein erbarmet hat.“ Aber der Bett¬ lersmann wollte mir nichts abtheilen, ſprechende: daß er ſelbſten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen, maſſen die Noth in Ban¬ nemin noch viel größer ſei, denn hier, wo wir doch Beere hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort
*) Ein abgelegener Theil der Inſel Uſedom.
**) Plattdeutſch, für Schnitte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0039"n="23"/>
fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf<lb/>
dem Wege gen Uekeritze ſo ich eingeſchlagen, einen Bett¬<lb/>
lersmann, der ſaß mit ſeinem Ränzel auf einem Stein<lb/>
und verzehrete ein Stücklein ſeltene Gottesgabe, verſtehe<lb/>
ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann<lb/>
die Backen ſo voll Waſſers, daß ich mich erſt bücken<lb/>
und es zur Erde mußte laufen laſſen, ehe ich fragen<lb/>
kunte: „wer biſtu, und wo kommſtu her, daß du Brod<lb/>
haſt?“ Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann<lb/>
aus Bannemin ſei, deme der Feind Allens genommen,<lb/>
und da er erfahren, daß der Lieper Winkel <noteplace="foot"n="*)">Ein abgelegener Theil der Inſel Uſedom.</note> faſt lange<lb/>
Frieden gehabt, hätt’ er ſich aufgemacht daſelbſten zu<lb/>ſchnurren. „Nun ſage ich darauf: du armer Bettlers¬<lb/>
mann, ſo theile einem betrübten Diener Chriſti der är¬<lb/>
mer iſt denn du, nur eine kleine Schnede <noteplace="foot"n="**)">Plattdeutſch, für Schnitte.</note> Brodt für<lb/>ſein armes Töchterlein ab, denn du ſollt wiſſen, ich bin<lb/>
ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will ſterben<lb/>
für Hunger. Ich beſchwere dich bei dem lebendigen Gott,<lb/>
daß du mich nit gehen läſſeſt, ohne dich mein zu erbar¬<lb/>
men, wie man ſich dein erbarmet hat.“ Aber der Bett¬<lb/>
lersmann wollte mir nichts abtheilen, ſprechende: daß er<lb/>ſelbſten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem<lb/>
bittern Hungerstode zuwanketen, maſſen die Noth in Ban¬<lb/>
nemin noch viel größer ſei, denn hier, wo wir doch Beere<lb/>
hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort<lb/></p></div></body></text></TEI>
[23/0039]
fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf
dem Wege gen Uekeritze ſo ich eingeſchlagen, einen Bett¬
lersmann, der ſaß mit ſeinem Ränzel auf einem Stein
und verzehrete ein Stücklein ſeltene Gottesgabe, verſtehe
ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann
die Backen ſo voll Waſſers, daß ich mich erſt bücken
und es zur Erde mußte laufen laſſen, ehe ich fragen
kunte: „wer biſtu, und wo kommſtu her, daß du Brod
haſt?“ Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann
aus Bannemin ſei, deme der Feind Allens genommen,
und da er erfahren, daß der Lieper Winkel *) faſt lange
Frieden gehabt, hätt’ er ſich aufgemacht daſelbſten zu
ſchnurren. „Nun ſage ich darauf: du armer Bettlers¬
mann, ſo theile einem betrübten Diener Chriſti der är¬
mer iſt denn du, nur eine kleine Schnede **) Brodt für
ſein armes Töchterlein ab, denn du ſollt wiſſen, ich bin
ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will ſterben
für Hunger. Ich beſchwere dich bei dem lebendigen Gott,
daß du mich nit gehen läſſeſt, ohne dich mein zu erbar¬
men, wie man ſich dein erbarmet hat.“ Aber der Bett¬
lersmann wollte mir nichts abtheilen, ſprechende: daß er
ſelbſten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem
bittern Hungerstode zuwanketen, maſſen die Noth in Ban¬
nemin noch viel größer ſei, denn hier, wo wir doch Beere
hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort
*) Ein abgelegener Theil der Inſel Uſedom.
**) Plattdeutſch, für Schnitte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/39>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.