melbeeren verrancket uns ausersehen, wenn die Noth uns verscheuchen söllte. Nahmen daher mit, was uns an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten Greisen und das Weibsvolk mit den Kin¬ dern folgten, welche ein groß Hungergeschrei erhoben. Denn sie sahen, daß sich mein Töchterlein auf einen Stubben satzte, und ein Stück Fleisch und Brod ver¬ zehrete, kamen also die kleinen Würmer mit ausgereck¬ ten Händeleins angelaufen und schrieen: uck hebben, uck hebben *). Wannenhero da mich solch groß Leid bil¬ lig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß sie alles Brod und Fleisch so vorräthig unter die hungri¬ gen Kindlein vertheilete. Erst mußten sie aber dafür "Aller Augen" **) beten, über welche Wort ich dann eine tröstliche Ansprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher jetzunder ihre Kindlein gespeiset auch Rath wis¬ sen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde werden ihm zu vertrauen.
Aber sollich Trost währete nicht lange. Denn nach¬ deme wir wohl an die zween Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe so kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen schier das Herze brach, angesehen auch dazwischen ein laut Schie¬ ßen, item das Geschrei der Menschen und das Bellen der Hunde erschallete, so daß männiglich gießen kunnte,
*) auch haben, auch haben.
**) Ps. 145, 15, 16.
melbeeren verrancket uns auserſehen, wenn die Noth uns verſcheuchen ſöllte. Nahmen daher mit, was uns an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten Greiſen und das Weibsvolk mit den Kin¬ dern folgten, welche ein groß Hungergeſchrei erhoben. Denn ſie ſahen, daß ſich mein Töchterlein auf einen Stubben satzte, und ein Stück Fleiſch und Brod ver¬ zehrete, kamen alſo die kleinen Würmer mit ausgereck¬ ten Händeleins angelaufen und ſchrieen: uck hebben, uck hebben *). Wannenhero da mich ſolch groß Leid bil¬ lig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß ſie alles Brod und Fleiſch ſo vorräthig unter die hungri¬ gen Kindlein vertheilete. Erſt mußten ſie aber dafür „Aller Augen“ **) beten, über welche Wort ich dann eine tröſtliche Anſprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher jetzunder ihre Kindlein geſpeiſet auch Rath wiſ¬ ſen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde werden ihm zu vertrauen.
Aber ſollich Troſt währete nicht lange. Denn nach¬ deme wir wohl an die zween Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe ſo kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen ſchier das Herze brach, angeſehen auch dazwiſchen ein laut Schie¬ ßen, item das Geſchrei der Menſchen und das Bellen der Hunde erſchallete, ſo daß männiglich gießen kunnte,
*) auch haben, auch haben.
**) Pſ. 145, 15, 16.
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melbeeren verrancket uns auserſehen, wenn die Noth
uns verſcheuchen ſöllte. Nahmen daher mit, was uns
an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit
Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber
bald die alten Greiſen und das Weibsvolk mit den Kin¬
dern folgten, welche ein groß Hungergeſchrei erhoben.
Denn ſie ſahen, daß ſich mein Töchterlein auf einen
Stubben satzte, und ein Stück Fleiſch und Brod ver¬
zehrete, kamen alſo die kleinen Würmer mit ausgereck¬
ten Händeleins angelaufen und ſchrieen: uck hebben, uck
hebben *). Wannenhero da mich ſolch groß Leid bil¬
lig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß ſie
alles Brod und Fleiſch ſo vorräthig unter die hungri¬
gen Kindlein vertheilete. Erſt mußten ſie aber dafür
„Aller Augen“ **) beten, über welche Wort ich dann eine
tröſtliche Anſprach an das Volk hielte, daß der Herr,
welcher jetzunder ihre Kindlein geſpeiſet auch Rath wiſ¬
ſen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur
nit müde werden ihm zu vertrauen.
Aber ſollich Troſt währete nicht lange. Denn nach¬
deme wir wohl an die zween Stunden in und um der
Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe ſo
kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen ſchier das
Herze brach, angeſehen auch dazwiſchen ein laut Schie¬
ßen, item das Geſchrei der Menſchen und das Bellen
der Hunde erſchallete, ſo daß männiglich gießen kunnte,
*) auch haben, auch haben.
**) Pſ. 145, 15, 16.
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Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/23>, abgerufen am 23.11.2024.
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