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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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bundenheit oder eine Machterweiterung der vollziehenden Gewalt
(Bd. I S. 86, 108), und die ist hier des Gliedstaates25.

Insofern die Reichsgesetzgebung unmittelbar oder unter gleich-
zeitiger Erweiterung ihrer Zuständigkeit, in jede Art von Verwaltungs-
thätigkeit eingreifen kann, erleiden die sog. Freiheitsrechte, wie
sie die Landesverfassungen garantieren, im Bundesstaat eine gewisse
Abschwächung. Denn die gesetzliche Grundlage zu Eingriffen in Frei-
heit und Eigentum, deren die vollziehende Gewalt des Gliedstaates
danach bedarf, kann sie jetzt auf zweierlei Weise erhalten: giebt sie
das Landesgesetz nicht, so kann ein Reichsgesetz kommen, um sie ihr
zu geben. Auch dieses genügt dem verfassungsmäßigen Vorbehalt;
Reichsgesetz und Landesgesetz sind für ihn fungibel.

Andererseits erhält in diesem Zusammenhange der Umfang solcher
Freiheitsrechte auch wieder eine Erweiterung durch einen neuen Be-
standteil. Im landesrechtlichen Verfassungsrecht sind sie nur das
Widerspiel der Vorbehalte des Gesetzes, die dem Unterthanen gegen-
über der vollziehenden Gewalt zu Gute kommen (Bd. I. S. 75). In
der gleichen Weise wirkt aber hier das stärkere Recht der Reichs-
gewalt, wo es zum Vorteil des Unterthanen der ganzen Gliedsstaats-
gewalt Schranken setzt. Jede Erlaubnis, jede Anerkennung eines ge-
wissen Spielraums freier Bewegung, die ein Reichsgesetz ausspricht,
ist für die vollziehende Gewalt des Reichs wie des Gliedstaats und
zugleich für die Gesetzgebung des letzteren unverbrüchlich, eine Nicht-
achtung dieser Grenze zum Nachteil eines Unterthanen ein Unrecht
gegen diesen. Es ist ein reichsgesetzlich garantiertes Frei-
heitsrecht,
das da entsteht26.

25 Damit treten wir in Gegensatz zu Binding, wenn derselbe, Stf.R. I
S. 478, sagt: "Inhaber aller Strafrechte, die gemeinen deutschen Strafgesetzen ent-
springen, ist das Reich und sind nicht die Einzelstaaten." Er will die gleiche
Auffassung auch für Zölle und Reichssteuerforderungen durchführen (a. a. O. S. 479
Note 10). Diese gehören aber dem Unterthanen, dem Schuldner gegenüber -- und
das allein ist entscheidend -- zweifellos dem Gliedstaat; Laband, St.R. II S. 842
Note 1, S. 932 (3. Aufl. II S. 804 Note 1, S. 888). -- Ebenso verhält es sich mit
der Militärhoheit. Brockhaus, Das deutsche Heer S. 14 ff., und Bornhak,
Preuß. St.R. III S. 36, wollen diese, in ähnlichem Gedankengange wie Binding,
den Einzelstaaten absprechen wegen des Militärgesetzgebungsrechtes des Reichs.
Dagegen mit Recht Laband, St.R. II S. 555 Note 3 (3. Aufl. S. 534 Note 3).
Das Verständnis für das Wesen der Trennung der Gewalten wird auch hier die
richtige Auffassung erleichtern.
26 Einfache Verwaltungsgesetze des Reichs, wenn sie derartige Bestimmungen
enthalten, erheben sich von selbst zu der Ausdrucksweise, deren die Verfassungs-
urkunden sich bei Aufstellung der Grundrechte bedienen. So Ges. über die Frei-
zügigkeit v. 1. Nov. 1867 § 1: "Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb

Anhang.
bundenheit oder eine Machterweiterung der vollziehenden Gewalt
(Bd. I S. 86, 108), und die ist hier des Gliedstaates25.

Insofern die Reichsgesetzgebung unmittelbar oder unter gleich-
zeitiger Erweiterung ihrer Zuständigkeit, in jede Art von Verwaltungs-
thätigkeit eingreifen kann, erleiden die sog. Freiheitsrechte, wie
sie die Landesverfassungen garantieren, im Bundesstaat eine gewisse
Abschwächung. Denn die gesetzliche Grundlage zu Eingriffen in Frei-
heit und Eigentum, deren die vollziehende Gewalt des Gliedstaates
danach bedarf, kann sie jetzt auf zweierlei Weise erhalten: giebt sie
das Landesgesetz nicht, so kann ein Reichsgesetz kommen, um sie ihr
zu geben. Auch dieses genügt dem verfassungsmäßigen Vorbehalt;
Reichsgesetz und Landesgesetz sind für ihn fungibel.

Andererseits erhält in diesem Zusammenhange der Umfang solcher
Freiheitsrechte auch wieder eine Erweiterung durch einen neuen Be-
standteil. Im landesrechtlichen Verfassungsrecht sind sie nur das
Widerspiel der Vorbehalte des Gesetzes, die dem Unterthanen gegen-
über der vollziehenden Gewalt zu Gute kommen (Bd. I. S. 75). In
der gleichen Weise wirkt aber hier das stärkere Recht der Reichs-
gewalt, wo es zum Vorteil des Unterthanen der ganzen Gliedsstaats-
gewalt Schranken setzt. Jede Erlaubnis, jede Anerkennung eines ge-
wissen Spielraums freier Bewegung, die ein Reichsgesetz ausspricht,
ist für die vollziehende Gewalt des Reichs wie des Gliedstaats und
zugleich für die Gesetzgebung des letzteren unverbrüchlich, eine Nicht-
achtung dieser Grenze zum Nachteil eines Unterthanen ein Unrecht
gegen diesen. Es ist ein reichsgesetzlich garantiertes Frei-
heitsrecht,
das da entsteht26.

25 Damit treten wir in Gegensatz zu Binding, wenn derselbe, Stf.R. I
S. 478, sagt: „Inhaber aller Strafrechte, die gemeinen deutschen Strafgesetzen ent-
springen, ist das Reich und sind nicht die Einzelstaaten.“ Er will die gleiche
Auffassung auch für Zölle und Reichssteuerforderungen durchführen (a. a. O. S. 479
Note 10). Diese gehören aber dem Unterthanen, dem Schuldner gegenüber — und
das allein ist entscheidend — zweifellos dem Gliedstaat; Laband, St.R. II S. 842
Note 1, S. 932 (3. Aufl. II S. 804 Note 1, S. 888). — Ebenso verhält es sich mit
der Militärhoheit. Brockhaus, Das deutsche Heer S. 14 ff., und Bornhak,
Preuß. St.R. III S. 36, wollen diese, in ähnlichem Gedankengange wie Binding,
den Einzelstaaten absprechen wegen des Militärgesetzgebungsrechtes des Reichs.
Dagegen mit Recht Laband, St.R. II S. 555 Note 3 (3. Aufl. S. 534 Note 3).
Das Verständnis für das Wesen der Trennung der Gewalten wird auch hier die
richtige Auffassung erleichtern.
26 Einfache Verwaltungsgesetze des Reichs, wenn sie derartige Bestimmungen
enthalten, erheben sich von selbst zu der Ausdrucksweise, deren die Verfassungs-
urkunden sich bei Aufstellung der Grundrechte bedienen. So Ges. über die Frei-
zügigkeit v. 1. Nov. 1867 § 1: „Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb
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[468/0480] Anhang. bundenheit oder eine Machterweiterung der vollziehenden Gewalt (Bd. I S. 86, 108), und die ist hier des Gliedstaates 25. Insofern die Reichsgesetzgebung unmittelbar oder unter gleich- zeitiger Erweiterung ihrer Zuständigkeit, in jede Art von Verwaltungs- thätigkeit eingreifen kann, erleiden die sog. Freiheitsrechte, wie sie die Landesverfassungen garantieren, im Bundesstaat eine gewisse Abschwächung. Denn die gesetzliche Grundlage zu Eingriffen in Frei- heit und Eigentum, deren die vollziehende Gewalt des Gliedstaates danach bedarf, kann sie jetzt auf zweierlei Weise erhalten: giebt sie das Landesgesetz nicht, so kann ein Reichsgesetz kommen, um sie ihr zu geben. Auch dieses genügt dem verfassungsmäßigen Vorbehalt; Reichsgesetz und Landesgesetz sind für ihn fungibel. Andererseits erhält in diesem Zusammenhange der Umfang solcher Freiheitsrechte auch wieder eine Erweiterung durch einen neuen Be- standteil. Im landesrechtlichen Verfassungsrecht sind sie nur das Widerspiel der Vorbehalte des Gesetzes, die dem Unterthanen gegen- über der vollziehenden Gewalt zu Gute kommen (Bd. I. S. 75). In der gleichen Weise wirkt aber hier das stärkere Recht der Reichs- gewalt, wo es zum Vorteil des Unterthanen der ganzen Gliedsstaats- gewalt Schranken setzt. Jede Erlaubnis, jede Anerkennung eines ge- wissen Spielraums freier Bewegung, die ein Reichsgesetz ausspricht, ist für die vollziehende Gewalt des Reichs wie des Gliedstaats und zugleich für die Gesetzgebung des letzteren unverbrüchlich, eine Nicht- achtung dieser Grenze zum Nachteil eines Unterthanen ein Unrecht gegen diesen. Es ist ein reichsgesetzlich garantiertes Frei- heitsrecht, das da entsteht 26. 25 Damit treten wir in Gegensatz zu Binding, wenn derselbe, Stf.R. I S. 478, sagt: „Inhaber aller Strafrechte, die gemeinen deutschen Strafgesetzen ent- springen, ist das Reich und sind nicht die Einzelstaaten.“ Er will die gleiche Auffassung auch für Zölle und Reichssteuerforderungen durchführen (a. a. O. S. 479 Note 10). Diese gehören aber dem Unterthanen, dem Schuldner gegenüber — und das allein ist entscheidend — zweifellos dem Gliedstaat; Laband, St.R. II S. 842 Note 1, S. 932 (3. Aufl. II S. 804 Note 1, S. 888). — Ebenso verhält es sich mit der Militärhoheit. Brockhaus, Das deutsche Heer S. 14 ff., und Bornhak, Preuß. St.R. III S. 36, wollen diese, in ähnlichem Gedankengange wie Binding, den Einzelstaaten absprechen wegen des Militärgesetzgebungsrechtes des Reichs. Dagegen mit Recht Laband, St.R. II S. 555 Note 3 (3. Aufl. S. 534 Note 3). Das Verständnis für das Wesen der Trennung der Gewalten wird auch hier die richtige Auffassung erleichtern. 26 Einfache Verwaltungsgesetze des Reichs, wenn sie derartige Bestimmungen enthalten, erheben sich von selbst zu der Ausdrucksweise, deren die Verfassungs- urkunden sich bei Aufstellung der Grundrechte bedienen. So Ges. über die Frei- zügigkeit v. 1. Nov. 1867 § 1: „Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/480>, abgerufen am 25.11.2024.