einer Volksvertretung u. s. w. Wir haben uns nicht damit zu be- schäftigen.
II. Im Gegensatz zu den zuletzt besprochenen völkerrechtlichen Verbänden bildet der Bundesstaat einen verfassungsrecht- lichen Verband. Er ist selbst Staat, juristische Person des öffent- lichen Rechts. Das Wesen seiner Verfassung besteht aber darin, daß sie die Gliedstaaten zu einem solchen Gesamtstaat vereinigt, ohne sie selbst als Staaten aufzuheben.
Die Lehre vom Bundesstaat gehört dem Verfassungsrecht an, dem Staatsrecht in jenem hergebrachten Sinn, der es in Gegensatz zum Verwaltungsrecht stellt (Bd. I S. 16, 18). Die Wissenschaft ist gerade an seiner hervorragendsten Erscheinung, dem Deutschen Reich, in die größte Uneinigkeit geraten darüber, wie das juristisch aufzufassen sei. Politische Neigungen und Abneigungen spielen dabei, nach der Eigen- art des Staatsrechts, bewußt und unbewußt ihre Rolle. Uns geht die Streitfrage insoweit an, als beide, Reich und Gliedstaaten, ihre Verwaltung haben und diese Verwaltung durch das bundesstaatliche Verhältnis in der einschneidendsten Weise rechtlich bedingt ist. Die Art dieser Bedingtheit liegt vor Augen. Keine staatsrechtliche Theorie kann richtig sein, deren Ergebnisse nicht dazu stimmen. Das Ver- hältnis zwischen Reich und Gliedstaat muß vielmehr von vornherein entsprechend gedacht werden. Deshalb müssen wir auch von unserem einseitigen Standpunkt aus zu der Frage Stellung nehmen.
Zweierlei Staatsgewalt sehen wir in Deutschland thätig. Die ein- zelne Gliedstaatsgewalt besteht und wirkt für ihr Gebiet und ihr Volk, und zugleich besteht und wirkt für eben dieses Gebiet und eben dieses Volk die Reichsgewalt. Daß die letztere zugleich in der nämlichen Weise neben den anderen Gliedstaatsgewalten steht, das macht eben das Reich aus, welches sie zusammenhalten soll. Das Problem ist aber für jedes deutsche Land übereinstimmend gestellt: wie vertragen sich diese zweierlei Staatsgewalten für einen und denselben Macht- bereich?
Überall ist jedenfalls nur eine volle Staatsgewalt denkbar; eine doppelte volle Staatsgewalt für denselben Machtbereich giebt es nicht, so wenig wie eine possessio plurium in solidum.
Man kann die Lösung darin suchen, daß man nur die eine der fraglichen Gewalten für eine echte und ursprüngliche erklärt, die andere für minderwertig und abgeleitet. Jene allein ist dann Staats- gewalt und zwar volle Staatsgewalt, die andere hat genau besehen nur den Namen und den Schein einer solchen. So ließe sich ja die Sache denken; aber es ist dann eben kein Bundesstaat mehr, was
Anhang.
einer Volksvertretung u. s. w. Wir haben uns nicht damit zu be- schäftigen.
II. Im Gegensatz zu den zuletzt besprochenen völkerrechtlichen Verbänden bildet der Bundesstaat einen verfassungsrecht- lichen Verband. Er ist selbst Staat, juristische Person des öffent- lichen Rechts. Das Wesen seiner Verfassung besteht aber darin, daß sie die Gliedstaaten zu einem solchen Gesamtstaat vereinigt, ohne sie selbst als Staaten aufzuheben.
Die Lehre vom Bundesstaat gehört dem Verfassungsrecht an, dem Staatsrecht in jenem hergebrachten Sinn, der es in Gegensatz zum Verwaltungsrecht stellt (Bd. I S. 16, 18). Die Wissenschaft ist gerade an seiner hervorragendsten Erscheinung, dem Deutschen Reich, in die größte Uneinigkeit geraten darüber, wie das juristisch aufzufassen sei. Politische Neigungen und Abneigungen spielen dabei, nach der Eigen- art des Staatsrechts, bewußt und unbewußt ihre Rolle. Uns geht die Streitfrage insoweit an, als beide, Reich und Gliedstaaten, ihre Verwaltung haben und diese Verwaltung durch das bundesstaatliche Verhältnis in der einschneidendsten Weise rechtlich bedingt ist. Die Art dieser Bedingtheit liegt vor Augen. Keine staatsrechtliche Theorie kann richtig sein, deren Ergebnisse nicht dazu stimmen. Das Ver- hältnis zwischen Reich und Gliedstaat muß vielmehr von vornherein entsprechend gedacht werden. Deshalb müssen wir auch von unserem einseitigen Standpunkt aus zu der Frage Stellung nehmen.
Zweierlei Staatsgewalt sehen wir in Deutschland thätig. Die ein- zelne Gliedstaatsgewalt besteht und wirkt für ihr Gebiet und ihr Volk, und zugleich besteht und wirkt für eben dieses Gebiet und eben dieses Volk die Reichsgewalt. Daß die letztere zugleich in der nämlichen Weise neben den anderen Gliedstaatsgewalten steht, das macht eben das Reich aus, welches sie zusammenhalten soll. Das Problem ist aber für jedes deutsche Land übereinstimmend gestellt: wie vertragen sich diese zweierlei Staatsgewalten für einen und denselben Macht- bereich?
Überall ist jedenfalls nur eine volle Staatsgewalt denkbar; eine doppelte volle Staatsgewalt für denselben Machtbereich giebt es nicht, so wenig wie eine possessio plurium in solidum.
Man kann die Lösung darin suchen, daß man nur die eine der fraglichen Gewalten für eine echte und ursprüngliche erklärt, die andere für minderwertig und abgeleitet. Jene allein ist dann Staats- gewalt und zwar volle Staatsgewalt, die andere hat genau besehen nur den Namen und den Schein einer solchen. So ließe sich ja die Sache denken; aber es ist dann eben kein Bundesstaat mehr, was
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Anhang.
einer Volksvertretung u. s. w. Wir haben uns nicht damit zu be-
schäftigen.
II. Im Gegensatz zu den zuletzt besprochenen völkerrechtlichen
Verbänden bildet der Bundesstaat einen verfassungsrecht-
lichen Verband. Er ist selbst Staat, juristische Person des öffent-
lichen Rechts. Das Wesen seiner Verfassung besteht aber darin, daß
sie die Gliedstaaten zu einem solchen Gesamtstaat vereinigt, ohne sie
selbst als Staaten aufzuheben.
Die Lehre vom Bundesstaat gehört dem Verfassungsrecht an, dem
Staatsrecht in jenem hergebrachten Sinn, der es in Gegensatz zum
Verwaltungsrecht stellt (Bd. I S. 16, 18). Die Wissenschaft ist gerade
an seiner hervorragendsten Erscheinung, dem Deutschen Reich, in die
größte Uneinigkeit geraten darüber, wie das juristisch aufzufassen sei.
Politische Neigungen und Abneigungen spielen dabei, nach der Eigen-
art des Staatsrechts, bewußt und unbewußt ihre Rolle. Uns geht
die Streitfrage insoweit an, als beide, Reich und Gliedstaaten, ihre
Verwaltung haben und diese Verwaltung durch das bundesstaatliche
Verhältnis in der einschneidendsten Weise rechtlich bedingt ist. Die
Art dieser Bedingtheit liegt vor Augen. Keine staatsrechtliche Theorie
kann richtig sein, deren Ergebnisse nicht dazu stimmen. Das Ver-
hältnis zwischen Reich und Gliedstaat muß vielmehr von vornherein
entsprechend gedacht werden. Deshalb müssen wir auch von unserem
einseitigen Standpunkt aus zu der Frage Stellung nehmen.
Zweierlei Staatsgewalt sehen wir in Deutschland thätig. Die ein-
zelne Gliedstaatsgewalt besteht und wirkt für ihr Gebiet und ihr Volk,
und zugleich besteht und wirkt für eben dieses Gebiet und eben dieses
Volk die Reichsgewalt. Daß die letztere zugleich in der nämlichen
Weise neben den anderen Gliedstaatsgewalten steht, das macht eben
das Reich aus, welches sie zusammenhalten soll. Das Problem ist
aber für jedes deutsche Land übereinstimmend gestellt: wie vertragen
sich diese zweierlei Staatsgewalten für einen und denselben Macht-
bereich?
Überall ist jedenfalls nur eine volle Staatsgewalt denkbar;
eine doppelte volle Staatsgewalt für denselben Machtbereich giebt es
nicht, so wenig wie eine possessio plurium in solidum.
Man kann die Lösung darin suchen, daß man nur die eine
der fraglichen Gewalten für eine echte und ursprüngliche erklärt, die
andere für minderwertig und abgeleitet. Jene allein ist dann Staats-
gewalt und zwar volle Staatsgewalt, die andere hat genau besehen
nur den Namen und den Schein einer solchen. So ließe sich ja die
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/474>, abgerufen am 22.11.2024.
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